Maxi Baier (Luna Wedler) ist erst Anfang zwanzig, als sie beinahe ihre gesamte Familie bei einem Terroranschlag in ihrer Heimatstadt Berlin verliert. Nur ihr Vater Alex (Milan Peschel) überlebt das Attentat durch einen glücklichen Zufall - beide sind vollständig traumatisiert. Allein mit ihrem Schmerz und auch ihrer Angst fällt Maxi dem charmant wirkenden Karl (Jannis Niewöhner) praktisch in die Hände. Der lädt Maxi zu einer "Summer Academy" nach Prag ein - ohne weitere Auswege oder Alternativen nimmt sie das Angebot an. Noch ahnt sie nicht, dass sie dabei einer rechten Gruppierung in die Hände spielt, die Maxis dramatische Situation für ihre eigenen Propaganda-Zwecke nutzen wollen... und Maxi, deren Gesinnung nach dem Anschlag einer Änderung unterläuft, lässt sich von ihnen ausnutzen.
Der Grundkonflikt ist hochaktuell, wahnsinnig spannend und liest sich auf dem Papier wie der Nährboden für einen meisterhaften, deutschen Film: Die weltoffene Maxi wird nach einem Anschlag, der sie ihre Familie kostet, mit einer rechten Gruppierung konfrontiert. Gerade der innere Konflikt der Protagonistin wird in der ersten Filmhälfte sensibel und packend aufgelegt: Wenn Maxi mit Argusaugen durch ihre Heimatstadt Berlin streift und schon beim Anblick eines ausländischen Mannes Angstzustände und Zorn fühlen kann, was sie selbst verunsichert, ist das ein wahnsinnig starkes, aufgeladenes Konfliktpotenzial. Dabei ist sie alles andere als eine Rassistin - ihre Familie half zuvor gar einem Flüchtling, es über die Grenzen nach Deutschland zu schaffen. Doch das einschneidende Drama hat vieles verändert und ihr Gefühlsleben zerrüttet, weswegen sie ein leichtes Opfer für die rechte Gruppierung rund um den von "Jugend ohne Gott"-Star Jannis Niewöhner gespielten Karl darstellt. Mit cleveren Details und einem gelungenen Spannungsbogen, der dem Zuschauer auf gewiefte Art und Weise einen Wissensvorsprung vor der traumatisierten Luna gibt, weiß "München"-Regisseur Christian Schwochow zu provozieren, nachdenklich zu machen und auch zu schockieren.
Doch leider reicht das dem Drehbuch nicht. Als wäre dieser Konflikt nicht genug, als wäre Maxis Leidensweg und ihr Wandeln auf verirrten Wegen nicht sowohl auf grausame Art und Weise verständlich als auch erschreckend genug, packt Schwochow schon früh den Holzhammer aus. Man kann beinahe verstehen, was er aussagen will, wenn er überzeichnete Dialoge, kranke Songtexte und glasklar erkennbares rechtes Gedankentum auffährt - er will das Thema so sehr brandmarken, dass es wirklich jeder begreift. Das ist dann aber auf der anderen Seite gefährlich, da er gerade im letzten Drittel so arg überzeichnet, dass er Gefahr läuft, die schwierigen Themen einer unfreiwilligen Komik zu überziehen. Doch nicht nur das Finale wirkt in seiner Überinszenierung gnadenlos gefaket, obwohl gerade diese Abbildung einer Jagd exakt das ist, was solcherlei Gruppierungen in Deutschland unbedingt wollen. Schon vorher agiert die Gruppe rund um Karl so offensichtlich rechtsextrem, dass es scheinheilig wirkt, wenn sie sich hinter schicken Partys, einem exzessiven Lifestyle und dem durchkalkulierten Bespielen der sozialen Medien verbergen... und es wird auf Dauer immer unverständlicher, wie ein cleveres und nachdenkliches Individuum wie Maxi sich von solchen Menschen vor den Karren spannen lässt. Auch wenn ihr Martyrium solcherlei Übertreibungen grundsätzlich erklärt, reicht das nicht aus, denn dafür ist das Drehbuch an vielen Stellen schlicht und einfach zu plakativ.
Es gibt aber auch genügend Szenen, die das Potenzial erkennen lassen und nachdenklich stimmen, die hinter die ekelhafte Propaganda der Gruppierung lugen lassen und zu erschrecken wissen, ohne gleich den Holzhammer auszupacken. Und wem das nicht reicht, der sollte sich "Je Suis Karl" aufgrund einer Personalie sowieso nicht entgehen lassen. Der Film ist generell wahnsinnig gut besetzt und sogar Jannis Niewöhner, welcher vom Drehbuch immer wieder Steine in den Weg gelegt bekommt, weil seine Figur schon früh als plakativer Teufel gebrandmarkt wird (zurecht, aber viel zu platt inszeniert), kann hier mehr als überzeugen. Neben einem starken Milan Peschel ist es letztendlich aber Luna Wedler in der Hauptrolle, die in den Bann zieht. Die erst zweiundzwanzigjährige Schauspielerin beweist nach "Das schönste Mädchen der Welt" und "Dem Horizont so nah" nun zum wiederholten Male, dass es kaum ein deutsches, weibliches Talent in ihrem Alter gibt, welches so gut ist wie sie. Nuanciert, in den richtigen Momenten mit einer wahnwitzigen Kraft, einer enormen Ausdrucksstärke, wahnsinnig natürlich, elegant, charmant, gewitzt... Wedler liefert all diese verschiedenen Paletten einer großartigen Figur ab und schindet dabei mächtig Eindruck. Alleine aufgrund ihrer bravourösen Leistung lohnt sich eine Sichtung von "Je Suis Karl", auch wenn der Film darüber hinaus in seinen lobenswerten, letztendlich aber zu plakativen Ansätzen steckenbleibt.
Fazit: "Je Suis Karl" liefert löbliche Ansätze, einen hochspannenden und emotionalen Grundkonflikt und viel Stoff zum Nachdenken - all das aber zu plakativ, zu platt, zu gewollt erschreckend. Gegen Ende gerät der Film in seiner Überinszenierung gar vollkommen aus dem Ruder, weswegen es fast alleine an der grandiosen Luna Wedler hängenbleibt, die dem Werk mit enormer Kraft und Ausstrahlung einen sinnigen Fixpunkt gibt.
Note: 3
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