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Im Körper des Feindes

Vor sechs Jahren erschoss der Terrorist Castor Troy (Nicolas Cage) bei einem Mordversuch an FBI-Agent Sean Archer (John Travolta) dessen kleinen Sohn. Seitdem jagt Archer den Verbrecher gnadenlos und vernachlässigt dafür auch seine Frau Eve (Joan Allen) und die gemeinsame Tochter Jamie (Dominique Swain). Als es Archer und seinem Team nun tatsächlich gelingt, Troy dingfest zu machen und dieser fortan schwer verletzt im Koma liegt, ist die Freude nur von kurzer Dauer, denn Troy soll vorab einen biologischen Sprengsatz versteckt haben, der in wenigen Tagen explodieren wird. Um das Unglück zu verhindern lässt sich Archer auf ein gefährliches Experiment ein: Mit einer neuen chirurgischen Technik soll ihm das Gesicht des komatösen Troy auferlegt werden, damit dieser in Gestalt des totgeglaubten Terroristen mit dessen Bruder Pollux (Alessandro Nivola) sprechen kann - denn der weiß über die Details des Plans Bescheid. Doch kurz nach Archers Einweisung ins Gefängnis, wo Pollox untergebracht ist, erwacht Troy aus dem Koma... und nimmt die Identität des FBI-Agenten an.

Ein Jahr nach "Operation: Broken Arrow" öffnete dieser Film dem beinahe legendären Action-Regisseur John Woo endgültig Tür und Tor nach Hollywood - eine US-Karriere, die nach qualitativen Flops wie "Mission: Impossible 2" und "Paycheck" jedoch nicht allzulange anhielt. "Face/Off" gilt nun aber als Woo's bester, weil konzentriertester und originellster Hollywood-Film und tatsächlich wischt das Werk mit den zuvor genannten Blockbustern locker den Boden auf. Vom Zuschauer wird allerdings auch verlangt, dass man bei diversen arg hanebüchenen Story-Wendungen und Plotdetails das Hirn auf Durchzug schaltet, denn es tummeln sich Logiklöcher so groß wie die Schusswunden, die bei den zahlreichen Opfern entstehen. Sicher, es gibt genügend Blockbuster, die eine Geschichte wie diese durchaus dümmer erzählen würden - aber eben weil sich Woo in der ersten Hälfte mit akribischen Details, einem ausführlichen Vorbau und spannenden Figuren so eine Mühe gibt, fallen einige generische Ausrutscher und etliche Logiklöcher umso stärker auf.
Die Pille mit der wahnwitzigen Technik des Gesichtertauschs schluckt man da natürlich noch gerne - es ist immerhin ein Action-Blockbuster und nicht das nächste Oscar-Highlight und die Prämisse ist immerhin ziemlich originell und sorgt für allerlei spannende Verwicklungen, wenn Terrorist und FBI-Agent später zwangsläufig das Leben ihres Feindes leben müssen. Dabei macht Woo auch keine Gefangenen und treibt das spannende Versteckspiel bis auf die Spitze - Held und Gegenspieler verstricken sich dabei so weit in ihrer Misere, dass man sich als Zuschauer alsbald beim Gedanken ertappt, dass das alles am Ende unmöglich aufzulösen ist. Und so kommt es dann auch: "Face/Off" endet wesentlich banaler und simpler als man es sich zuvor gewünscht hat und besonders das überlange Finale fällt hier negativ auf. Lobenswert allerdings, dass Woo sich nicht nur auf seine grandiosen Fähigkeiten als Action-Veteran verlässt: Seine zentralen Shootouts sind durch die Bank weg brillant inszeniert (auch wenn man diverse Klischees wie glückliche Zufälle und namenlose Schergen, die einfach nichts treffen, was von Belang ist, schlucken muss), er klebt sie aber auch nicht nahtlos aneinander, sondern traut sich auch mal längere Atempausen zu, um die Charaktere und den sich immer weiter verstrickenden Plot zu Wort kommen zu lassen.
Nun sind die hier auftretenden Figuren kein Bild von Tiefe, aber sympathisch genug sind sie und besonders die wenigen leisen Momente, in denen Archer sich in Troys Leben einfinden und dort sogar Eckpunkte und Sympathien für die Verbrecher in seinen Kreisen findet, haben eine erstaunliche emotionale Schlagkraft. Eine Schlagkraft, die weder Cage noch Travolta in den Hauptrollen so richtig transportieren können, denn beide agieren hier mit solch einer Überzeichnung, dass man ihnen diverse Tiefschläge nicht abkauft. Gut, das Chargieren ist man von beiden schon ein wenig gewohnt, aber gerade "Con Air"-Star Cage übertreibt hier in jeder Gefühlslage absolut maßlos. Es ist aber nicht so, dass man das nicht irgendwie erwartet hätte, weswegen ich auch diverse Klischees der 90er in diesem Film irgendwie schlucken konnte. "Face/Off" ist keine sonderlich tiefgründige Unterhaltung, nur die Ausgangslage ist für Hollywood-Blockbuster angenehm komplex und John Woo macht auf dem Regiestuhl auch noch einiges daraus, was man dem heutigen Publikum wohl kaum zumuten würde. Dementsprechend sehr solide Unterhaltung, aber natürlich auch mit einigen Brain-Outs.

Fazit: Der Kultfilm von John Woo überzeugt vor allem durch seine schnörkellose Action und die irren Wirrungen, in die der Plot führt. Etliche Plotholes, teils flache Charaktere und anstrengende Schauspielleistungen muss man aber ebenfalls kaufen und die machen die 140 Minuten Laufzeit nicht immer zu einer kurzweiligen Sache.

Note: 3+



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