Die junge Künstlerin Eloise Cooper (Thomasin McKenzie) erfüllt sich ihren großen Traum: Dank eines Stipendiums darf sie nach London ziehen, um dort an einer renommierten Hochschule Modedesign zu studieren. Schon früh muss sie jedoch erkennen, dass der Traum von Europa nicht so glänzend ist, wie sie sich dies zuvor ausgemalt hat - sie gerät in Konflikt mit ihren Mitstudentinnen, muss sich den unnachgiebigen Anmachen älterer Männer auf den Straßen erwehren und flieht sogar aus dem Studentenheim. Als sie in einem Zimmer bei der alten Vermieterin Mrs. Collins (Diana Rigg) unterkommt, nimmt das Unheil jedoch weiter seinen Lauf, denn mysteriöse Vorkommnisse entführen Eloise scheinbar jede Nacht in das London der 60er Jahre, wo sie Zeugin der zweifelhaften Karriere der jungen Sängerin Sandy (Anya Taylor-Joy) wird... und von dem, was sie Schreckliches erlebt hat.
Bei Edgar Wright kann man sich nie sicher sein, was er als nächstes macht... ich bin mir nur sicher, dass ich ihm auf seinem Weg mittlerweile vollkommen vertraue. Nachdem er im Jahr 2010 mit dem herzlichen Nerd-Abenteuer "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" sowie sieben Jahre später mit dem grandiosen Action-Thriller "Baby Driver" zwei meiner absoluten Lieblingsfilme inszeniert hat, hat er für mich eine Card Blanche - egal was er anfasst, ich bin vorab schon Feuer und Flamme. Nun hat sich Wright ins Horror-Genre getraut und bleibt auch dabei seinen Prinzipien treu: "Last Night in Soho" interessiert sich nicht für den Mainstream und fordert sein Publikum wie gewohnt heraus. Und das sogar so sehr, dass wir nach rund einer Stunde immer noch nicht wissen, wohin sich dieser Film wohl entwickeln wird. Wright hat aber auch eine Menge vor: Er spielt mit den Elementen einer Coming-of-Age-Komödie, erzählt eine wendungsreiche Geschichte wie aus den besten Thrillern, streut einige schaurige Horror-Elemente oben drüber und liefert zudem eine knallharte, unangenehm realistische Message für die "Me-Too"-Ära. Dass der Film dabei niemals aus dem Takt gerät, sondern trotz seiner unübersehbaren Schwächen wie aus einem Guss wirkt, ist natürlich zuvorderst Wright selbst zu verdanken.
Der hat gemeinsam mit Co-Autorin Krysty Wilson-Cairnes nicht nur ein starkes Drehbuch abgeliefert, sondern inszeniert sein Werk wie gewohnt mit unglaublichem Esprit. Jede Kamerafahrt sieht großartig aus, die Musikauswahl ist meisterhaft, das Gefühl für Timing und Schnitt kaum zu verbessern. Gerade in der ersten Hälfte kann man sich kaum sattsehen an dem atmosphärischen, wenn auch nicht unbedingt schönen Gefühl Londons - er setzt die verspielten, malerischen Bilder der Künstler neben düstere, verhangene Nebelschwaden und bedrohliche Straßen und Menschen. Das entwickelt schon früh einen starken Sog und wenn die Geschichte alsbald damit beginnt, an Fahrt aufzunehmen und den Zuschauer mehr als einmal vor den Kopf stößt, dann ist man wahrlich mittendrin. Zu viel will man über die Geschehnisse, die hier oft völlig unverhofft hereinbrechen, keinesfalls verraten, denn je weniger man über den Plot weiß, desto mehr Freude wird man an diesem verspielten und trickreichen Thriller haben. Wright hat zudem seine beiden Hauptdarstellerinnen wahnsinnig gut geleitet: Thomasin McKenzie und "Glass"-Star Anya Taylor-Joy glänzen in ihren Rollen und legen dabei eine solch gigantische Bandbreite an den Tag, dass ich ihnen ewig hätte zuschauen können. Noch dazu garniert Wright das atmosphärische Treiben mit einigen hervorragend aufgelegten Altstars, darunter zum Beispiel Terence Stamp sowie "Game of Thrones"-Star Diana Rigg in ihrer letzten Rolle. Das einzig schwache Glied in diesem ansonsten bis in die Nebenrollen perfekt besetzten Cast ist schließlich Michael Ajao, der als eine der wenigen scheinbar freundlichen Seelen in London arg hüftsteif wirkt.
So ganz kann man den wenigen Kritikern, die Wright ja seit geraumer Zeit einen gewissen Hang zum "Style over Substance" nachsagen, aber in diesem Fall nicht widersprechen. Anders als in dem grandiosen "Baby Driver", wo die Inszenierung Wrights gekonnt über einige Hänger im Plot hinwegtäuschen konnte, gelingt ihm dieses Kunststück hier nicht immer. Der Plot von "Last Night in Soho" ist hochaktuell, dringlich und wahnsinnig spannend, er leistet sich gerade im Mittelteil aber doch einige Hänger. Wright möchte diese mit einem wahnwitzigen Übermaß aus Style und perfekt durchgetakteten Aufnahmen ausgleichen, was auf optischer Ebene gut funktioniert, jedoch nicht verhehlen kann, dass es dem Plot in dieser Form ein kleines bisschen an Substanz mangelt. Auch im Finale übertreibt es Wright mit einigen symbolischen Bildern etwas zu sehr. Das sind jedoch im direkten Vergleich nur marginale Schwächen, die etwas deutlicher auffallen, weil der Rest des Films schlichtweg so gut inszeniert ist. Und selbst in seinen schwächeren Momenten ist "Last Night in Soho" aufgrund der stilsicheren Inszenierung, den beiden grandiosen Hauptdarstellerinnen und seines kurzzeitig etwas unfokussierten, letztendlich aber wieder wahnsinnig spannenden und wichtigen Plots immer noch ein großes, filmisches Vergnügen. Es ist kein perfekter Film, aber einer, der viel Neues wagt und so etwas sehen wir doch immer gerne.
Fazit: Edgar Wrights neuester Film ist zu gleichen Teilen Drama, Horror-Thriller, Me-Too-Debatte und eine atmosphärisch dichte, düstere Zeitreise. Dass sich all diese Genres in der butterweichen Inszenierung gegenseitig befeuern lässt den Film wie aus einem Guss wirken. Trotz einiger Hänger ist "Last Night in Soho" somit ein kreatives, packendes Erlebnis.
Note: 2-
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