Er war nicht bereit für ein Familienleben und für dieses erst recht nicht: Joe Goldberg (Penn Badgley) findet keine Verbindung zu seinem neugeborenen Sohn Henry und findet sich in dem schnöden Alltag zwischen dem Wechseln von Windeln und dem nächtlichen Aufstehen nicht zurecht. Und das ist noch nicht das Schlimmste, denn nach den grauenvollen Taten seiner Frau Love (Victoria Pedretti) und dem Offenbaren ihres wahren Gesichts fühlt Joe auch keine Liebe mehr zu ihr. Stattdessen verfällt er offenbar den Reizen seiner Nachbarin Natalie (Michaela McManus), was zu einem handfesten Streit führt. In ihrem Bemühen, die Taten der Vergangenheit zu vergessen und ein neues Leben in San Francisco aufzubauen, scheinen Joe und Love zu vergessen, welche Geheimnisse sie eigentlich verdrängen und es dauert nicht lange, bis die Stimmung hochkocht... und die erste Leiche ihren Weg pflastert.
Wieder ein neues Setting, wieder ein (bis auf die beiden Hauptdarsteller*innen) vollständig neues Ensemble - "You" scheint mit dieser dritten Staffel seinen Ton gefunden zu haben, obwohl auch dieser wieder vor lauter Neuerungen erstrahlt. Zuerst fällt dabei auf, wie sehr sich die neuen Figuren von denen unterscheiden, die wir bislang kennengelernt haben - sie sind nämlich, bis auf wenige Ausnahmen, um ein vielfaches unsympathischer, zum Teil auch nerviger als zuvor. Das ist natürlich berechnendes und in dieser Form auch zweckdienliches Kalkül, denn so wird das Publikum förmlich dazu gezwungen, sowohl Joe als auch Love weiterhin die Daumen zu drücken und die Sympathien zu Großteilen auf diese zu verteilen. Da deren Taten in dieser Staffel noch einmal deutlich drastischer ausfallen als in den vorhergehenden Staffeln (und das will ja durchaus etwas heißen), ist der moralische Kampf wieder eröffnet. Und der funktioniert, sobald man sich erneut an das neue Setting, die Figuren und den generellen Fokus dieser Season gewöhnt hat, mal wieder richtig gut. Im direkten Vergleich fällt auch das Finale nicht ab, da es nicht so überzeichnet und mit Wendungen vollgestopft wirkt wie das der zweiten Staffel - dementsprechend hat die dritte Season dabei die Nase etwas weiter vorn, ohne jedoch an den Auftakt heranzukommen, denn der wirkte eben einfach noch etwas frischer und auf eigene Art charmanter.
Ein wenig negativ fällt das auf, was Netflix in der Produktion wohl durchaus gutgemeint hat: Niemandem soll auf den Schlips getreten werden, weswegen Charaktere mit jeglichen Diversitäten, Sexualitäten und Eigenschaften aufkreuzen, was sicherlich eine Art Quote erfüllen soll. An und für sich ist diese Art der Diversity nötig und auch löblich, doch wirkt es hin und wieder eben auch etwas angestrengt, wenn Charakteren sexuelle Ausrichtungen auf den Leib geschrieben werden, nur damit diese eben auch noch drin sind. Darunter leidet über einen gewissen Zeitraum auch der psychologische Konflikt der Hauptfiguren, da die Serie eine ganze Weile lang viel zu sehr damit beschäftigt ist, den weniger interessanten, privaten Maleuren der Nebencharaktere zu folgen. Diese Durststrecke dauert allerdings nicht lange an und generell finden die Macher ein sehr starkes Pacing, um sowohl die eigentliche Geschichte auf Strom zu halten und darüber hinaus ebenfalls interessante, originelle Figuren mit eigenen Konflikten zu erschaffen. An den Tonfall, der durchaus etwas schriller und bunter wirkt als zuvor (was angesichts der oberflächlich anmutenden Social-Media-Freigeister auf seltsame Art und Weise passt), muss man sich zwar erst gewöhnen, doch nach kurzer Zeit kommt "You" dabei wieder gut in Schwung.
Die Macher ruhen sich dabei weiterhin nicht auf Altbekanntem aus, sondern finden nun mit den Konflikten im Familien- und Eheleben eine neue Ebene, die wir so in der Serie bislang nicht zu sehen bekommen haben. So schraubt sich die gesamte Handlung der Show noch ein wenig höher und endet dabei in einem so nicht gänzlich überraschenden, aber überaus spannenden und dramatischen Finale, welches so mit Abzügen auch als Serien-Showdown durchgehen könnte. Dass dies nicht der Fall sein wird, ist mittlerweile klar - eine vierte Staffel von "You" wird definitiv kommen. Und auf die darf man sich auch erneut freuen, denn bislang hat die Serie eine solide, oftmals sogar extrem gute Art und Weise gefunden, Zuschauer*innen zu binden, sie zu fordern und zu überraschen. Es werden neue Pfade beschritten, man bleibt aber trotzdem dem bereits Erzählten treu. Auch der Cast macht seine Sache wie gehabt sehr gut, wobei es nicht überraschend ist, dass "Einfach zu haben"-Star Penn Badgley und die nun als sensible Psychopathin auftretende Victoria Pendretti Herz und Seele dieser Staffel sind und in ihren punktgenauen Darstellungen absolut begeistern. Der Rest des Casts macht seine Sache ebenfalls sehr gut, auch wenn das Drehbuch sich alle Mühe gibt, einige der Figuren als überzeichnete Deppen anzulegen - was aber (und das gilt es erneut zu wiederholen) absolut gewollt ist und mit fortschreitender Laufzeit immer mehr Sinn ergibt, kritische Töne erlaubt und spannende Wendungen nimmt.
Fazit: "You" ist auch in der dritten Staffel frisch, spannend, fordernd und unterhält über zehn durchweg starke Folgen. In den Ansätzen wirkt diese Season hin und wieder etwas bemüht, ist jedoch innerhalb des Pacings, der neuen Ideen sowie der Weiterentwicklung der ambivalent gezeichneten Figuren noch ein bisschen stärker als die zweite Season.
Note: 2-
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