Ines Conradi (Sandra Hüller) und ihr Vater Winfried (Peter Simonischek) sind von grundauf verschieden. Während Ines im Ausland in einer großen Beratungsfirma arbeitet und den Job dabei zu ihrem einzigen Lebensinhalt gemacht hat, lebt Winfried in Deutschland in bescheidenen Verhältnissen und allein mit seinem Hund. Dabei ist er, ganz anders als die stocksteif agierende Ines, stets zu Scherzen aufgelegt und erwischt dabei auch mal eine falsche Situation innerhalb seiner Komik. Winfried würde sich seiner Tochter gerne wieder annähern und folgt ihr daher nach Budapest, wo sie arbeitet. Diese ist erst nicht begeistert von dem plötzlichen Auftauchen ihres Vaters, versucht ihn anschließend jedoch so gut wie möglich unter ihre Fittiche zu nehmen. Allerdings versucht sie auch einen wichtigen Kunden zu beeindrucken und dabei könnte Winfried, der oftmals die Grenze seiner Späße nicht erkennt, durchaus hinderlich sein...
Es ist schwierig, "Toni Erdmann" einem direkten Genre zuzuordnen. Der Film aus dem Jahr 2016 gilt nach gefeierten Vorstellungen in Cannes und etlichen Nominierungen bei nationalen und internationalen Filmpreisen (unter anderem eine Oscarnominierung für den besten ausländischen Film) als eines der besten deutschen Kinowerke... vielleicht auch, weil er sich so sehr den üblichen Konventionen des deutschen, aber auch des amerikanischen Kinos verweigert und dabei dennoch zugänglich bleibt und nicht allzu sperrig wirkt. Im Herzen ist der Film definitiv ein Drama, wobei die Beziehung zwischen Vater und Tochter, die sich aufgrund völlig verschiedener Lebensziele auseinandergelebt haben, im Mittelpunkt steht. Prinzipiell lässt er sich aber auch als Komödie vermarkten und der Grundkonflikt liest sich dabei im Grunde wie die typische Comedy, die so auch von Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer kommen könnten. Und es schüttelt einen bei dem Gedanken, was diese beiden beispielsweise aus der Geschichte gemacht hätten oder wie der Film an den Mainstream angelehnt worden wäre, wäre er eine schnöde Hollywood-Produktion.
Dem setzt sich die Regisseurin Maren Ade aber konsequent entgegen, inszeniert "Toni Erdmann" langsam, betulich und nuanciert. Die Pointen, die einen stellenweise gar vor Lachen brüllen lassen, sitzen nicht aufgrund der ständigen Holzhammer-Methode, sondern weil sie gut vorbereitet, noch besser von der Leine gelassen und zudem ständig im Kontext der eigentlichen Dramaturgie verankert sind. Jede Performance, die Winfried dabei zum Besten gibt, spielt dem direkten Drama in die Karten - dem Drama, dass er seiner Tochter scheinbar nur noch nahe sein kann, wenn er eine andere Figur darstellt als er selber ist. Dabei bringt er dann nicht nur die perfekt geleckten Geschäftsmenschen, mit denen seine Tochter arbeitet oder die sie umgarnen muss, durcheinander, sondern hält diesen mehr als einmal auch den Spiegel vor. Dabei begeht "Toni Erdmann" nicht den leicht begehbaren Fehler, Winfried als den sympathischen Herzensmenschen und Ines im direkten Vergleich als überkorrekte, humorlose Spaßverderberin zu zeichnen, obwohl beides auf die Hauptfiguren im Grunde zutrifft. In kleinen Momenten greift Ade deutlich tiefer und hat die menschliche Beziehung der beiden Charaktere wahnsinnig gut im Blick. Dass dabei zudem noch Zeit bleibt für gesellschaftliche Analysen, ein wenig Beziehungsdramatik und das Zeichnen mehrerer Nebenfiguren, ist dabei vor allem der unüblichen Länge von 162 Minuten geschuldet.
Und diese stellt ein wenig das Haar in der Suppe dar, denn so löblich es auch ist, wie viel Zeit sich der Film nimmt, um seine Charaktere nuanciert zu zeichnen - etwas weniger hätte es auch getan. So spürt man die Überlänge besonders in der zweiten Hälfte deutlich und nicht jeder Subplot hätte so breit und ausladend auserzählt werden müssen. Dabei stechen vor allem Ines' Beziehung zu einem Kollegen sowie eine im letzten Drittel ausgehaltene Party in Ines' Haus negativ heraus - beides an sich tolle Ideen, die jedoch so breit gedichtet werden, dass sie sich irgendwann ein wenig totlaufen. So dreht sich auch Winfrieds Auftritt als sein alter Ego Toni Erdmann irgendwann im Kreis. Sandra Hüller und Peter Simonischek agieren in den Hauptrollen jedoch über jeden Zweifel erhaben - ohne Scham, mit einer enormen Ausstrahlung und in jeder Faser glaubwürdig transportieren sie ihre Rollen mit Ecken und Kanten und müssen sich dabei nicht einmal aufplustern. Beide sind dabei sowohl vielschichtig als auch stellenweise ungemein witzig... und letzteres nicht, weil sie es drauf anlegen, sondern weil diese gesittete Glaubhaftigkeit deutlich spaßiger und manchmal auch unangenehmer ist als das gnadenlose Spielen einer sichtbaren Rolle. Das erinnert in den besten Momenten gar an die deutsche Hitserie "Stromberg", die mit ähnlichen, komödiantischen Qualitäten aufwartete, wohingegen "Toni Erdmann" dem eine deutlich düsterere und traurigere, dramatische Komponente entgegensetzt, die nicht aufregend oder spektakulär, sondern ganz und gar menschlich ist.
Fazit: 162 Minuten Laufzeit sind zu viel und "Toni Erdmann" wirkt dadurch noch viel breiter erzählt als er letztendlich hätte sein müssen. Dank hervorragender Schauspieler*innen, einer großartigen Regie und einer herzlichen, unaufgeregt erzählten und deswegen so treffsicheren und beizeiten wahnsinnig witzigen Geschichte unterhält dieser deutsche Brocken aber sehr gut und trifft dabei mehrfach das Herz, ohne rührselig zu werden.
Note: 2-
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