Molly (Elle Fanning) ist eine junge Journalistin, die einen perfekten Job an Land gezogen hat. Nun droht sie jedoch, diesen zu verlieren und das liegt an ihrem Vater Leo (Javier Bardem) - er leidet an starker Demenz, scheint kaum noch wirklich geistig anwesend zu sein und muss praktisch rund um die Uhr gepflegt werden. Molly übernimmt diesen Job und opfert dabei immer wieder die Seiten ihres eigenen Lebens, die sie eigentlich ganz dringend für sich braucht. Leo's Geist selbst hingegen scheint von den Erlebnissen seines Alltags, die er nur am Rande mitzubekommen scheint, immer wieder getriggert zu werden und findet sich in seinen eigenen Gedanken und Empfindungen wieder, die in seinem Kopf merkwürdig realistische Züge annehmen...
Das ist schon ein ganz schöner Brocken, den sich "Ginger & Rosa"-Regisseurin Sally Potter da aufgeladen hat. Es geht hier schließlich nicht "nur" um eine weitere Geschichte rund um einen demenzkranken Menschen, der weitestgehend aus Sicht der umstehenden Menschen erzählt wird. Nein, Potter möchte auch einen Blick in das geistige Leben von Leo selbst wagen und bebildern, was in seinem Kopf eigentlich vor sich geht. Denn wenn er schon im realen Leben nicht wirklich anwesend zu sein scheint, müssen seine Gedanken, Gefühle und Wünsche wohl in eine andere Richtung driften. Potter gelingt dabei vor allem in den Szenen, die in unserer "richtigen" Welt spielen, ein zumeist beeindruckendes Gespür für eine dringliche Atmosphäre, die die Sichtung von "The Roads Not Taken" oft zu einer unangenehmen Sache machen. Wenn Leo, beinahe nur noch auf seinen Instinkt beschränkt, die Menschen um sich herum in den Wahnsinn zu treiben scheint und dabei auch in Situationen gerät, die sowohl für ihn selbst als auch für seine überforderte Tochter unangenehm sind, dann ist das zwar Drama-Kino, welches man auch leiser erzählen könnte, welches seine Wirkung aber kaum verfehlt.
Dass diese Szenen funktionieren, obwohl sie oftmals nur lose aneinandergereiht werden und dabei keinen echten, dramaturgischen Bogen entfalten, liegt zumeist an Javier Bardem. Der Star aus Filmen wie "No Country for Old Men" und dem oscarnominierten "Being The Ricardos" trumpft hier mit einer Leistung auf, die man nur noch als brillant bezeichnen kann und meistert den waghalsigen Drahtseilakt zwischen unpassendem Overacting und zu leiser Nuancität mit absoluter Bravour. Mit glasigen Augen, in denen sich dennoch so viel Leben abspielt und mit wirr erscheinenden Sätzen, aus denen zwischen den Zeilen so viel Gefühl spricht, reißt Bardem den Film an sich und als Zuschauer hängen wir an seinen Lippen, können den Blick kaum von seinem Gesicht abwenden. Ihm gegenüber fällt "Trumbo"-Star Elle Fanning ein wenig ab, da es ihr nicht immer gelingt, die tiefe Tragik ihrer Figur passend auszuloten - es ist oftmals ein wenig zu viel, was Fanning hier anbietet, weswegen sie klar hinter Bardem zurückbleibt. Das ist aber nicht allein die Schuld der jungen und sonst ja stets glänzend aufgelegten Schauspielerin, sondern auch ein wenig die des Drehbuchs, welches kaum etwas über die weibliche Hauptfigur zu erzählen hat.
Molly wird praktisch nur über ihren Vater definiert und hat ansonsten kaum einen eigenen Story-Arc. Etwas schade auch, dass Leo ebenfalls ein Mysterium für sich bleibt und die teils grotesken Tauchgänge in seinen verwirrten Geist nicht wirklich nachvollziehbar sind. Das ist zwar einerseits folgerichtig, da der Zuschauer von seinen Vorstellungen und Träumen ebenso verwirrt werden soll wie Leo selbst, doch bleiben somit am Ende auch eine Menge Fragezeichen. Es stellt sich gar die Frage, ob diese "Träume" nicht nur reiner, hübsch gefilmter Selbstzweck sind, die uns an der Nase herumführen und am Ende die schnöde Message hinterlassen, dass es eben nicht möglich ist, in diesen Geist einzudringen. Das ist als finale Nachricht aber doch etwas wenig und lässt Zweifel daran aufkommen, dass Regisseurin Potter diesem Thema viel beizutragen hatte. Es ist also durchaus faszinierend, was sie hier erschafft und einzelne Dramaaspekte wirken durchaus gekonnt. Letztendlich bleibt jedoch fadenscheinig, was uns Potter eigentlich erzählen will, weswegen "The Roads Not Taken" in Ansätzen berührt, aber auch ein wenig unstet wirkt.
Fazit: Besonders dank einer grandiosen Performance von Javier Bardem entwickelt sich "The Roads Not Taken" zu einem bewegenden, oftmals schwer zu ertragenden Drama. Die tieferen Ebenen, die uns ein Gefühl für die Wahrnehmung eines Demenzkranken geben sollen, schrammen jedoch hart an spirituellem Wirrsinn vorbei und kommen kaum über lose Träumereien hinaus.
Note: 3
Kommentare
Kommentar veröffentlichen