Der berüchtigte Ganove Jesse James (Brad Pitt) überfällt gemeinsam mit seinem Bruder Frank (Sam Shepard) und einer Bande von gewaltbereiten Verbrechern seit nun mehr zwölf Jahren Züge, Banken und Postkutschen. Neuerdings gehört auch der neunzehnjährige Robert Ford (Casey Affleck) zu seiner Bande und erfüllt sich damit einen Lebenstraum - Jesse James ist sein großes Idol, dem er schon seit frühesten Kindheitstagen nacheiferte. Alsbald muss Ford aber lernen, dass sein Vorbild nicht so strahlend ist, wie er sich dies einst vorgestellt hat und ihn nicht mit dem seiner Meinung nach gebührenden Respekt behandelt. Trotzdem versucht Ford immer wieder, einen Eindruck bei James zu schinden, was schon bald Früchte tragen soll... jedoch nicht die Früchte, die Ford sich ausgemalt hat.
Im Jahr 1882, das Jahr der Ermordung des berüchtigten Jesse James, wurde sein Mörder Robert Ford als Feigling bezeichnet, der sich darüber hinaus in der Gesellschaft große Feinde machte. Der Film von "Killing Them Softly"-Regisseur Andrew Dominik und Produzent Ridley Scott soll nun beiden Männern ein tieferes Gesicht geben, ihre Beweggründe entschlüsseln und versuchen, ihnen eine Gefühlswelt und echte Menschlichkeit zu verschaffen. Leider bleibt es jedoch nur bei dem ehrenwerten Versuch, denn ausgerechnet der zentrale Konflikt rund um Robert Ford, seinen Zorn, seine Enttäuschung und schließlich der Verlust seiner Kontrolle werden hier ziemlich oberflächlich abgehandelt. Trotz einer enorm langen Laufzeit von 160 Minuten, die für diverse Zuschauer*innen zu einer echten Geduldsprobe werden können, gelingt es Dominik und Scott nicht, die beiden Männer wirklich greifbar zu zeichnen. Weder zu Ford noch zu Jesse James konnte ich eine wirkliche Bindung aufbauen... auch da keiner von ihnen in irgendeiner Form ein nachvollziehbar geschriebener Sympathieträger ist.
Es ist erstaunlich, wie viel Zeit das Drehbuch darauf verwendet, die Beziehung zwischen Jesse James und seinen Männern, inbesondere eben Robert Ford, darzustellen und dass am Ende dennoch unklar bleibt, was diese beiden Männer nun waren. Das Skript nimmt viele Abzweigungen, suhlt sich in kargen, aber wenig beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und zähen, sich im Kreis drehenden Dialogen. Das mag atmosphärisch dicht sein und vielleicht sogar sehr nah dran an der Realität, letztendlich ist es aber auch eine sehr fade Angelegenheit, die auf psychologischer Ebene auf dem Papier eine Menge abarbeitet, aber dabei nie so tief in die Materie eindringt wie es möglich und nötig gewesen wäre. Dass der Film dabei keine echte Actionszene aufbietet und mit sehr langsamem Tempo voranschreitet, ist in der Tat nicht weiter wild, wenn das Werk darüber hinaus denn packend oder emotional genug wäre... doch auch hier wird eher auf Sparflamme gekocht. Das ist kein Western-Actioner und es soll auch keiner sein - es ist ein Film über die letzten Tage der Western-Helden und deren Feinde, in denen diese knallharten Kerle verletzlich, am Ende und verwirrt waren. Das ist eine interessante Seite der Medaille, die hier aber nur reines Stückwerk bleibt.
Den Schauspielern kann man indes wenig anlasten: Den Erwartungen mehr als entsprechend agieren sowohl Brad Pitt als auch Casey Affleck in den Hauptrollen absolut hervorragend. Bei "Inglourious Basterds"-Star Pitt sitzt absolut jede Geste und wenn er versucht, mit kleinen Sätzen und genauen Blicken die Wahrheit aus seinem Gegenüber herauszulocken, dann ist das wahnsinnig elektrisierendes Spiel. Bens jüngerem Bruder Casey fällt dabei die undankbarere Rolle zu, da man mit der Person des Robert Ford offenbar aufräumen wollte, diesen aber zu arg auf die üblichen, erwartungsgemäßen Charakteristika begrenzt - Affleck gibt in der Tat sein Bestes, bleibt aber in den gemeinsamen Szenen mit Pitt etwas deutlicher zurück. Herausstechen tut auch die Besetzung der Nebendarsteller: Während "Brothers"-Star Sam Shepard nach seiner ersten, eindrucksvollen Szene leider nur noch wenig zu tun bekommt, können Jeremy Renner, Garret Dillahunt und Paul Schneider als Jesse James' Mitstreiter durchaus Glanzpunkte setzen. Und es ist wohl müßig zu erwähnen, dass der großartige Sam Rockwell hier wieder genau das tut, was er im Grunde in jedem Film tut, in welchem er auftreten darf: Brillieren.
Fazit: In schleppenden 160 Minuten hat das Western-Drama rund um die letzten Monate von Jesse James zwar einen großen, zentralen Konflikt zu erzählen, der aufgrund seiner oberflächlichen Psychologie aber eher langweilt als packt. Trotz faszinierender Darsteller ein eher sperriges und langatmiges Werk ohne echte Höhepunkte.
Note: 4+
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