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Diese Helden gehen richtig ab: Serienkritik zur ersten Staffel von "The Boys"

Superhelden sind allgegenwärtig und die größten Stars der Welt: Mehr als zweihundert Menschen mit außergewöhnlichen Kräften beschützen die Menschheit derzeit vor allerlei Verbrechen und die großen "Seven" rund um den Mega-Helden Homelander (Anthony Starr) bilden dabei die Speerspitze. Doch ihr moralischer Glanz ist nur ein Schein und diesen möchte der frustrierte Ex-Cop William Butcher (Karl Urban) endlich zerplatzen lassen, hat er mit einem der Helden doch noch eine Rechnung offen. Um seine Ziele zu erreichen, verbündet er sich mit dem jungen Techniker Hugh Campbell (Jack Quaid), dessen Freundin Robin (Jess Salgueiro) als eines der Kollateralschäden-Opfer des blitzschnellen Superhelden A-Train (Jessie T. Usher) endete... und sagt den strahlenden Helden den eiskalten Kampf an. Doch auch eine der Heldinnen muss erkennen, dass eben dieses Leben seine Schattenseiten hat: Annie January (Erin Moriarty) stößt als "Starlight" neu zur Truppe der "Seven" und sieht sehr bald, dass die Idole, die sie so vergöttert hat, definitiv keine moralischen Vorbilder sind...

Es ist die andere Seite der Medaille des großen Superhelden-Hypes, der seinerzeit immer noch vom Marvel Cinematic Universe angeführt wird, und die das Genre ad absurdum führt. Ausflüge in die düstere Welt der Superhelden, abseits vom strahlenden Heldentum und mit allerlei bitterbösen Ideen, gab es schon zuvor, doch noch nie wurden all diese Einfälle so dermaßen stark vermengt wie in der zurecht gehypten TV-Serie "The Boys". Denn in dieser Show steckt noch so viel mehr drin als diese eine Grundidee, dass man sich kaum sattsehen kann an diesen vollgestopften acht Folgen, die die Zuschauer*innen durch eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle schicken. Die Grundidee von Superstar-Helden, die ihre Position und ihre Kräfte immer wieder für moralisch absolut abartige Dinge nutzen, wird dabei ebenso schrill wie furchtbar düster wiedergegeben. Noch nie waren die Wechsel der Tonfälle zwischen vollkommen absurden Szenen und beinahe unerträglichen Momenten, die physisch und psychisch mit voller Wucht die Magengrube treffen, so dermaßen abrupt und dennoch ergibt das gesamte Puzzle eine absolut sinnige Welt, die von der ersten bis zur vorerst letzten Minute packt und schockiert.
Dabei nehmen die Macher die Grundidee und rennen mit ihr, soweit sie nur können. Superhelden als Mediengewitter, die wie die Hollywood-Stars unserer Zeit durch vollkommen irre Marketing-Kampagnen gezerrt werden, sexuell belästigt werden oder diese Belästigung ausüben und dann auch ziemlich blutige Kollateralschäden verursachen. Das ist wahnwitzig, mutig, brillant geschrieben und strotzt in förmlich jeder Szene so voller Ideen, dass ich mich wahrlich beherrschen muss, keine von ihnen vorwegzunehmen. Dabei gelingt es den Autoren, ihre Geschichte auf allen Ebenen absolut packend zu gestalten und etliche Gefühle anzusprechen: Absurde und super-brutale Actionszenen wechseln sich mit einem hochspannenden Psycho-Crime-Plot sowie einer wahnsinnig bissigen Mediensatire, die in dieser Form nicht einmal wirklich überzogen scheint. Und unter all diesen gigantischen Plots bleibt sogar noch Zeit, zahlreiche Haupt- und Nebenfiguren einzuführen, ihnen einen Charakter und richtiges Leben einzuhauchen und jeden einzelnen von ihnen ziemlich grau zu zeichnen... auch wenn man das zu Beginn noch schwer wird glauben können. Und dann war sogar noch Platz für eine der charmantesten und dramatischsten Liebesgeschichten in der Geschichte der TV-Serien, die atmen darf und dabei zu Herzen geht, obwohl alles drumherum in schierem Wahnsinn versinkt.
Die wahre Meisterleistung aller Beteiligten ist dabei, diese schier durchgeknallte Geschichte durchweg nahbar und spannend zu halten und dabei jegliche emotionale Grundhaltung perfekt auszutarieren. Das führt dazu, dass "The Boys" schlichtweg adrenalintreibend ist, immer wieder urkomisch, dann wieder schockierend und schlichtweg gar so rührend und menschlich, dass es einem die Tränen in die Augen treiben kann. Getragen von einer bis in die kleinste Nebenrolle absolut grandiosen Besetzung, welche die hassenswerten Bösewichte und die moralisch ambivalenten "Guten" zu einigen der besten Figuren macht, die ich bislang in einer Serie gesehen habe. Und obwohl die Show in einem hohen Tempo dahinrast, bleibt stets genug Zeit, um sich den Figuren und ihren Hintergründen zu widmen und das gesamte, sehr gut zurechtgedachte Story-Konstrukt auszutarieren. Das ist dann schon eine echte Meisterleistung, bei der man über kleine dramaturgische Schwächen und Vereinfachungen (zum Beispiel die, dass die Gesellschaft die strahlenden Helden scheinbar ohne jeden Zweifel einfach "kauft" und niemals skeptisch beäugt) locker hinwegsehen kann. Keine Frage: Halten die nachfolgenden Seasons diese Qualität nur ansatzweise, hat Amazon mit diesem Serien-Original eine der besten TV-Shows der letzten Jahre erschaffen, an der sich nachfolgende Genre-Vertreter messen müssen.

Fazit: "The Boys" ist ein Event! Schwarzhumorig und wahnsinnig kritisch, packend, hochspannend, emotional und mit großartigen, ambivalenten Figuren, welche die wendungsreiche und teilweise extrem düstere Geschichte tragen. 

Note: 2+



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