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Kinder können grausam sein: Filmkritik zu "The Innocents"

Die neunjährige Ida (Rakel Lenora Flottum) bezieht gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer älteren, autistischen Schwester Anna (Alva Brynsmo Ramstad) ein Apartementkomplex und fürchtet, dass sie vor dem Beginn der Schule womöglich keine Freundschaften schließen wird. Das ändert sich jedoch, als sie den gleichaltrigen Ben (Sam Ashraf) kennenlernt, welcher ihr sogar einige faszinierende Tricks zeigt - offensichtlich beherrscht Ben einige Fähigkeiten, die sich mit nichts weiter als Magie erklären lassen. Während die beiden in ihrer Freizeit die Kräfte auskundschaften und dabei ihre eigenen Grenzen als auch die anderer Lebewesen schmerzhaft austesten, kippt die Stimmung jedoch. Ben überschreitet Idas moralische Grenzen und bricht damit einen Konflikt vom Zaun, der zu eskalieren droht...

Dass man Kindern im Horror-Genre meistens nicht über den Weg trauen sollte, wissen Fans natürlich. In dem schwedischen Thriller "The Innocents" geht Regisseur Eskil Vogt aber noch einen Schritt weiter - er erzählt seine nervenzehrende Geschichte nicht nur aus Sicht von Kindern, denen man so lieber nicht über den Weg laufen möchte, sondern bricht auch die Hintergründe rund um die moralischen Vorstellungen und ihre teils normale, teils völlig obskure Entdeckungsvielfalt auf. Gerade in der ersten Hälfte erzählt Vogt dabei gleich mehrere Geschichten von erstaunlicher Kraft, wofür er nicht mal viele Worte braucht. Einsamkeit, Furcht, aber auch der Drang zum Entdecken, der bis zum Misogynen reichen kann und erwachsene Zuschauer in ihrer Extreme erschüttern wird, werden hier in glasklaren Bildern aufgezeigt, sodass wir die Charaktere kennenlernen, ohne dass sie viel erzählen müssen. Sehr deutlich wird dies zum Beispiel in der Beziehung zwischen Ida und ihrer Schwester Anna - letztere benötigt und erhält deutlich mehr Aufmerksamkeit als ihre jüngere Schwester, was Ida immer wieder zu kleinen Aktionen hinreißen lässt, welche ihre aufgewühlte Seele offenbaren und trotz aller Grausamkeit plötzlich nachvollziehbar daherkommen.
Atmosphärisch dicht wird das Abenteuer der vier Kinder inszeniert, in langsamen Szenerien, wobei die Erforschung des eigenen Selbst und die Auswirkungen auf die Umwelt thematisiert werden. Dabei erschafft Vogt einige Bilder und Szenen, die sich förmlich einbrennen und in ihrer Konsequenz und ihrer physischen Härte oftmals nur schwer zu ertragen sind. Sogar ich musste mich einige Male abwenden, da das Geschehen auf dem Bildschirm für mich zu grausam, zu intensiv wurde. Leider verliert Vogt diese Atmosphäre im späteren Verlauf aus den Augen, wenn er eine doch etwas zu simple Horror-"X-Men"-Variante abspult. Diese wird zwar durchaus konsequent durchgezogen, inklusive eines sehr dick aufgetragenen Finales mit überdeutlichem Symbol-Faktor, doch die psychologische, düstere Tiefe geht dabei schnell verloren. Plötzlich geht es nur noch um Einzelszenen, die definitiv eine Schockwirkung haben, innerhalb der letztendlich doch eher dünnen Geschichte aber keine ganz starke Wirkung mehr ausstrahlen können. Letztendlich fehlt es den Charakteren dann doch an Substanz, was man besonders an Ben merkt, der etwas aggressiv in die Antagonisten-Richtung gedrängt wird.
Am Cast lässt sich indes gar nichts ausrichten, was vor allem für die vier Kinderdarsteller*innen gilt. Alle vier agieren absolut fantastisch, hervorzuheben sei jedoch noch einmal gesondert die junge Rakel Lenora Flottum. Wie viel sich in ihrem Gesicht abspielt, was ihre neugierigen Augen scannen und mit welcher Offenheit sie agiert, das ist schlichtweg atemberaubend und ich konnte meinen Blick kaum von ihr abwenden. Mit Verlaub, eine solch enorme Ausstrahlung erreichen andere Schauspielerinnen teilweise zu Lebzeiten nicht - man kann nur hoffen, dass sie in der Filmindustrie Halt beweist, um uns weiter mit fantastischen Performances zu erfreuen. Vogts Inszenierung hilft den jungen Stars dabei, so glaubwürdig und naturalistisch wie möglich zu agieren - die Kamera bleibt nah an ihnen dran, die sonnendurchfluteten Bilder geben ein falsches Gefühl von Sicherheit. Stets brodelt das Gefühl einer Bedrohung selbst in schönen Momenten, die jedoch rasch in die Finsternis abstürzen können. Hätte in diesen Szenen dann auch noch der Fokus der Geschichte gestimmt, die allzu bald in Klischees abdriftet, wäre dieser Film sicherlich noch wirkungsvoller gewesen.

Fazit: Nach einer nervenzerfetzenden, atmosphärisch ungemein dichten und stellenweise knallharten ersten Hälfte versinkt "The Innocents" letztendlich mit allzu forcierten Figurenmustern in schwerer Symbolkraft und simpler Gut-gegen-Böse-Maschiniere. Die vier Kinderdarsteller erden das Geschehen mit teilweise herausragenden Performances.

Note: 3



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