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Mehr Absurditäten gehen nicht: Filmkritik zu "Everything Everywhere All At Once"

Das Leben von Evelyn Wang (Michelle Yeoh) ist nicht so gelaufen, wie sie es sich einst ausgemalt hat, doch einen Rückweg scheint es nicht zu geben. Ihr Ehemann Waymond (Ke Huy Quan) möchte die Scheidung, von ihrer Tochter Joy (Stephanie Hsu) hat Evelyn sich aufgrund derer sexueller Ausrichtung entfremdet und ihr Waschsalon lässt sie vor lauter Umbauarbeiten kaum noch zu Atem kommen. Als sie auf dem Weg zum Finanzamt plötzlich mit der Kraft des Multiversums konfrontiert wird, wobei sie als eine Art wichtige Heldin agieren soll, möchte Evelyn diesem magischen Firlefanz keinerlei Bedeutung schenken. Doch schließlich muss sie die Augen öffnen, denn ohne ihr Eingreifen ist nicht nur die Existenz von zahllosen Universen bedroht... sondern auch ihr eigenes Leben.

Eigentlich schien das Marvel Cinematic Universe in seiner derzeitigen Phasen-Sammlung die Thematik des Multiversums für sich gepachtet zu haben und sorgte damit vor allem mit dem meisterhaften Grenzensprenger "Spider-Man: No Way Home" für langanhaltende Jubelstürme. Der deutlich günstigere Indie-Film "Everything Everywhere All At Once" nutzte das Konstrukt des Multiversums nun für eine ganz eigene Geschichte, die sich deutlich weniger am Comic-Bombast orientiert und deswegen auch viel mehr Wagnisse eingehen kann. Und ohne übertreiben zu wollen: Viel absurder, bunter, durchgeknallter und kreativer kann man dieses Konzept wohl nicht mehr umsetzen, ohne jedwedes Mainstream-Publikum vollends zu vergraulen. Die zahllosen Ideen, mit denen die Macher nach rund einer halben Stunde um sich werfen und mit denen sie zahllose Universen in den verrücktesten Formen und Farben entwerfen, prasseln mit solch einer eklatanten Wucht auf, dass einem Hören und Sehen vergeht. Jede Idee ist mindestens genial, wenn auch vollkommen absurd... und es ist mehr als verständlich, wenn ab diesem Zeitpunkt viele nicht mehr folgen wollen.
Denn obwohl das recht clevere Drehbuch einen sehr originellen Grundboden findet, um all diese verrückten Ideen emotional zu verankern und den Grundkonflikt dabei letztendlich kleiner und fast intim zu halten, sogar das Herz noch angesprochen wird... der Wasserfall von all diesen Absonderlichkeiten und besonders das enorme Tempo, mit dem all das auf das Publikum einprasselt, ist schon recht heftiger Tobak. Und auch ich bin mehrere Male ausgestiegen, da mich all diese kreativen Ergüsse in ihrer Albernheit zwar durchaus beeindruckten, die extreme Fellhöhe zwischen wahnwitzigem Humor und intimem Drama aber viel zu hoch war, um mich wirklich zu packen. So sehr man die Autoren loben muss, wie bodenständig sie diese durchgeknallte Geschichte noch verzahnen - es war irgendwann einfach zu viel. Zu viel der Eindrücke, von denen minütlich neue hinzukommen. Zu viele der Universumssprünge, die jeder verrückter und rasanter daherkamen als der vorherige. Und irgendwann auch zu viel der Inszenierung, die sich diesen Universen angleicht und irgendwann daherkommt wie ein zappelnder Nager auf Speed, der nur noch durch Farben, Würstchenhände und zu Waffen umfunktionierte Dildos rast, bis es kein Halten mehr gibt.
Natürlich gibt es mit einer fantastisch aufgelegten Michelle Yeoh in der Hauptrolle eine ganz klare Konstante, die auch als emotionaler Fokuspunkt funktioniert und die dafür sorgt, dass das Herumspringen zwischen Universen, die kreativer nicht sein könnten, nicht ganz so verwirrend weitergeht wie es zu Beginn noch den Anschein hat. Und auch darüber hinaus war ich jedes Mal wieder neugierig, was für eine Idee sie als nächstes aus dem Hut zaubern würden. Doch irgendwann hat man sich schließlich mit dem Gedanken angefreundet, dass einfach alles möglich ist und nach den ersten Überraschungen ist man fast ein wenig taub. Da kann man über kochende Waschbären oder die Hilfe eines Analplugs zum Universumssprung durchaus noch schmunzeln, aber sich nicht mehr für sie begeistern, da sie in einer Schlagzahl folgen, die es wahrlich schwermachen, all das noch zu verarbeiten. Prinzipiell ist es also ein perfekter Multiversums-Film (und daher kommen sicherlich auch all die enorm positiven Kritiken), der exakt das hält, was er verspricht und darüber hinaus noch viel, viel mehr bietet. Es war eine ekstatische Erfahrung, die sicherlich neuartig und absolut originell war, in jedem Atemzug, in jedem Frame. Ob mir das gefallen hat, kann ich aber nicht sagen - es hat mich eher gestresst, aber das auf ganz besondere Art und Weise.

Fazit: Ein ganz besonderer, furchtbar stressiger Ritt durch die Weiten des verrückten Multiversums. Die Ideen der Macher sind grenzenlos und fordern in jeglicher Hinsicht. Das ist vollkommen irre und überraschend, aber auf Dauer auch sehr betäubend, bis selbst die genialsten Einfälle nur noch Stationen in einer langen Reihe des Wahnsinns sind.

Note: 3-



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