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Mehr Coming of Age, weniger Horror: Filmkritik zur Stephen-King-Verfilmung "Mr. Harrigans Phone"

Schon in jungen Jahren wurde Craig (Jaeden Martell) von dem alten Mr. Harrigan (Donald Sutherland) für einen Job angestellt. Da das Augenlicht des Seniors nachließ, brauchte er jemanden, der für ihn vorlas - und so besuchte Craig den alten Herrn dreimal in der Woche, erhielt dafür fünf Euro die Stunde und erweiterte dabei sogar noch seinen literarischen Horizont. Aus dem anfänglichen Arbeitsverhältnis erwuchs eine wichtige Freundschaft, die Craig sogar über den tragischen Tod seiner Mutter hinweghelfen konnte. Auch Craig half Mr. Harrigan aus, schenkte ihm gar ein Handy, um dessen Leben ein wenig einfacher zu gestalten. Ein Schicksalsschlag reißt diese Freundschaft jedoch auseinander... und kurz darauf scheint das Handy des alten Harrigan ein merkwürdiges Eigenleben zu entwickeln.

Dass Stephen King nicht nur ein Meister des Horrors ist, das wissen seine treuesten Fans. Seine Geschichten erzählen auch immer etwas Menschliches, etwas Tragisches, etwas über die Gesellschaft und unsere Sehnsüchte und Ängste. Nicht zuletzt haben auch Werke, die wenig oder gar nichts mit übernatürlichem Schauerstoff zu tun haben, einen wichtigen Kultstatus erlangt - man denke nur an "The Green Mile" oder "Die Verurteilten". Nach einer Marketing-Kampagne, welche die neueste Verfilmung einer Kurzgeschichte Kings doch eher als Mystery-Stoff anpries, kommt es nun überraschend, dass dieses Netflix-Original sich über weite Strecken wesentlich deutlicher in der Drama-Ecke verorten lässt. "Mr. Harrigans Phone" erzählt vor allem von einem jungen Menschen, der seinen Platz in der Gesellschaft noch finden muss. Der mit sich selbst, den Menschen um ihn herum und den Erwartungen, die in ihn gesteckt werden oder die er slebst an sich hat, durchaus hadert und dabei seine ganz eigenen Erfahrungen machen muss.
In der ersten Hälfte bebildert der Film auf rührende Weise die besondere Freundschaft, die sich zwischen Craig und Mr. Harrigan aufgebaut hat. In ungestelzten Dialogen, mit einem gewissen Humor und viel Weisheit wird die Beziehung der beiden so unterschiedlichen Charaktere sehr greifbar und der Film nimmt sich überraschend viel Zeit, um diese auszubauen. Dabei erzählt "Mr. Harrigans Phone" viele Themen parallel ab: Das Eingliedern in eine neue Schule, die erste Liebe, die Gefahren und Vorzüge des Internets, Gerechtigkeit und Rache-Triebe - das klingt nach viel, aber der Film findet immer wieder starke Momente, um diese Stationen aufzugreifen. Man spürt jedoch, dass dem Film hintenraus die Zeit fehlte, die er zu Beginn noch so sattsam und griffig verbrauchte. Gerade die letzte halbe Stunde wirkt wie ein gehetzter Rush durch die nötigen Schauer-Elemente Kings, bis hin zu einem ziemlich unklaren und unbefriedigenden Ende. Die Mystery-Elemente erhalten dabei nicht so viel Aufmerksamkeit, wie man zuvor erahnen würde - viel mehr lassen auch diese sich als eine Erzählung über die Lehren eines jungen Mannes lesen, der durch diese Situationen noch etwas für sein Leben lernen muss.
Schauspiel-Legende Donald Sutherland überzeugt dabei gewohnheitsgemäß mit einer knochigen, aber auch sehr herzlichen Performance als alter Mann, der schon viel gesehen hat, aber durchaus auch bereit ist, selbst in seinem letzten Lebensabschnitt noch neue Erfahrungen zu machen. Im Zusammenspiel mit dem jungen Jaeden Martell blühen beide förmlich auf - ohne ihre unaufgeregten Leistungen wäre die Freundschaft zwischen Craig und Mr. Harrigan nicht so packend gewesen. Martell beweist indes, dass er nach den beiden "Es"-Filmen schauspielerisch noch mehr gereift ist und kann die schier überbordenden Emotionen seiner Figur durchaus glaubhaft übertragen. Zwar erzählt der Film nicht alle diese Themen wirklich sinnig aus, sodass manch eine Allegorie doch etwas unangenehm oberflächlich verpufft, doch greifbar bleibt Martells Charakter dennoch. Zudem erweitert der Film seinen Blick auch hinsichtlich der Nebenfiguren - es tummeln sich einige sehr feine Charaktere auf den Nebenrängen, welche ein angenehmes Bild ergeben und die auch über Mr. Harrigans einnehmende Performance hinaus für einige sympathische und spannende Handlungsstränge sorgen.

Fazit: Da sich "Mr. Harrigans Phone" zwar angenehm viel Zeit für die Erzählung einer sensiblen Freundschaft nimmt, hintenraus aber zu wenig Raum besitzt, um die gehetzten Mystery-Elemente noch sinnvoll auszuerklären, wirkt der Film ein wenig unentschlossen. Trotz des teils etwas sprunghaften Tonfalls dennoch ein anrührender und bisweilen spannender Film, der nicht die übliche Stephen-King-Pallette abfrühstückt.

Note: 3



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