Direkt zum Hauptbereich

Antimoralisches Kammerspiel der Extraklasse: Filmkritik zu "Unthinkable - Der Preis der Wahrheit"

Der zum Islam konvertierte US-Amerikaner Steven Arthur Younger (Michael Sheen) droht in einem Bekennervideo mit der Detonation von drei in verschiedenen Ballungsgebieten versteckten Atombomben - etliche Millionen Todesopfer wären die Folge. Younger geht dem FBI kurz nach der Veröffentlichung des Videos ins Netz. Um die Position der Bomben in Erfahrung zu bringen, wird der Verhörspezialist Henry Humphries (Samuel L. Jackson), zumeist nur "H" genannt, auf den Terroristen losgelassen... und der kennt bei seinen Foltermethoden keinerlei Gnade. Die mit dem Fall betraute FBI-Agentin Helen Brody (Carrie-Anne Moss) versucht den Folterexperten zu bremsen, muss jedoch bald einsehen, dass es ohne diese grausamen Taten sehr bald unzählige Tote auf amerikanischem Boden geben könnte...

Ist es in Ordnung, einen direkt schuldigen Menschen unvorstellbare Qualen leiden zu lassen, um zehn Millionen unschuldige Menschen vor dem Tode zu bewahren? Ein moralisches Dilemma sondergleichen ist es, welches hier auf das Publikum losgelassen wird, welches sich in den folgenden anderthalb Stunden immer wieder fragen wird, was überhaupt moralisch vertretbar ist, wo eine Grenze verläuft (wenn es denn noch eine gibt) und ab wann wir die Menschlichkeit vollkommen verlieren. Folter ist das Schlimmste und Unmenschlichste, was einem Lebewesen angetan werden kann - und letztendlich eines der Instrumente, welches etliche Menschenleben rettet. "Unthinkable" nimmt die Zuschauer*innen mit in diese moralischen Grauzonen und zwingt sie förmlich, sich mit dieser Frage direkt zu konfrontieren. Indem es sowohl die Taten des Terroristen, aber auch dessen Beweggründe aufzeigt, wissen wir irgendwann nicht mehr, was wir noch glauben und vertreten sollen. Und die enorm intensive Inszenierung macht es einem da wahrlich nicht leichter.
Die verschiedenen Folterszenarien sind dabei gleich auf mehreren Ebenen sehr schwer zu ertragen - sie sind physisch ungemein brutal und grafisch und erreichen später auch eine psychische Ebene, die quasi jede Grenze sprengt. So gut wie nutzt der Film diesen Umstand jedoch zu effekthascherischem Gekröse, sondern stellt dem Publikum immer wieder moralische Fragen. Immer wieder wechseln wir automatisch die Seiten, drücken unterschiedlichen Parteien aus unterschiedlichen Gründen die Daumen, da sich mit nur einer Tat das ganze Spielbrett verschiebt. In einem intensiven Kammerspiel werden Charaktere aufeinander losgelassen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Das Paradebeispiel ist dafür die Figur des Folterers "H", der im Grunde ein wandelnder Widerspruch ist: In einer Szene foltert er einen Mann bis aufs Blut und wenige Minuten später hält er mit seinen Kindern einen unbedarften Skype-Call. Dieser beinahe schaurige Doppelmensch aus Empathie und Gnadenlosigkeit ist ebenso faszinierend wie schockierend und sorgt dafür, dass wir fast jede Szene, jeden gewagten Schritt von allen Parteien mehrfach fassungslos hinterfragen... und dennoch zu keiner Antwort kommen.
Ob solche Art der Folter nämlich in Ordnung ist, um somit ein höheres Ziel zu sichern, das kann und will auch dieser Film nicht beantworten - weil es keine allgemeingültige Antwort gibt und vielleicht niemals geben wird. Er lässt das Publikum am Ende mit eben dieser Frage allein, was "Unthinkable" noch schwieriger und nachwirkender macht als er es ohnehin ist. Darüber hinaus muss man jedoch auch feststellen, dass der Film rein dramaturgisch einige Schwächen besitzt. So ist das Unvermögen manch eines Nebencharakters, um diverse Szenen in Gang zu bringen, gleich auf mehreren Ebenen ärgerlich und zerstört die Glaubwürdigkeit des Settings gern mehrfach. Auch der Start des Films hat seine Stolperer - etwas weniger umständlich hätte man die zentralen Figuren durchaus zusammenbringen können. Unter den drei Hauptdarsteller*innen bleibt zudem "Disturbia"-Star Carrie Anne-Moss als eine Art moralischer Kompass deutlich zurück: Während Samuel L. Jackson und Michael Sheen als extreme Konterparts in einem erdrückenden Kammerspiel wahnsinnig stark aufspielen, bleibt Moss irgendwo im Mittelfeld hängen und kann die Brisanz, die auf ihren Charakter drückt, höchstens ansteuern, aber niemals gänzlich übertragen.

Fazit: Intensives Kammerspiel, welches das Publikum vor zahlreiche moralische Dilemmas stellt. Hochspannend, aktuell, brisant und wahnsinnig kritisch - ein Film, der nachwirkt, ganz gleich, welche Position am Ende eingenommen wird. Einige dramaturgische Stolpersteine und forcierte Momente sorgen jedoch zwischendurch für leichte Ärgernisse.

Note: 2-



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid