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Perverses Rache-Drama: Filmkritik zu "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber"

Jeden Abend besucht der Mafiaboss Albert Spica (Michael Gambon) das französische Restaurant "Les Hollandaise". Die gesamte Belegschaft und auch andere Gäste haben unter Spicas grauenvollen und bisweilen brutalen Allüren zu leiden, am schlimmsten trifft es jedoch stets seine ihn ständig begleitende Ehefrau Georgina (Helen Mirren), die von ihm furchtbar schikaniert und denunziert wird. Schließlich lässt sich Georgina auf eine Affäre mit dem belesenen Restaurantgast Michael (Alan Howard) ein - praktisch vor Alberts Nase, versteckt an Orten im Restaurant. Gedeckt werden sie dabei von dem Chefkoch Richard Boars (Richard Bohringer), welcher die gewalttätigen Kapriolen seines Stammgastes erträgt. Doch es dauert nicht lange, bis der gefährliche Mafiaboss Wind von dem Betrug bekommt...

Dieser Kultklassiker lässt sich auf verschiedene, teils oberflächliche, teils tiefgründige Arten und Weisen lesen, welche durch die Hauptfiguren übertragen werden. Am ehesten im Gedächtnis geblieben ist dabei gleich die offensichtlichste Art: Regisseur Peter Greenaway will schocken, provozieren und das Publikum in jeder möglichen Weise herausfordern. Das gelingt ihm mit durchaus klar aufgezeigten Charakteren und stellt die Zuschauer*innen das ein ums andere Mal auf die Probe - sein Film ist stellenweise sehr brutal, geht freizügig mit deutlichen Sexszenen um und scheut sich nicht vor ekeligen Momenten, die sich einem schier in die Netzhaut einbrennen. Das führte gar zu einem Verbot des Films in den USA (die da ja sowieso eher prüde angelegt sind) und machte Greenaway zu einem der begnadetsten Autorenfilmer der britischen Kinogeschichte. Er hatte es nie aufs große Publikum angelegt, sondern wollte mit Cleverness und Grenzüberschreitungen vorgehen.
Einer seiner Hauptcharaktere vereint das Wort "Grenzüberschreitung" dabei in so ziemlich jeder Bewegung und in jedem seiner vielen, gesprochenen Worte: Michael Gambons Monologe sind fast die einzigen Worte, die in der ersten halben Stunde des Films auf mäandernde, verstörende und unglaublich rasend machende Weise gesprochen werden. Ein Bösewicht, wie er im Buche steht und noch viel mehr - psychisch vollkommen freigedreht, brutal, gnadenlos, sexistisch, übergriffig, ein widerlicher Kotzbrocken mit unausgesprochenen, aber glasklaren Fetischen. Gambon frisst mit dieser Darstellung schier die Leinwand auf und scheint niemand anderen neben sich zu dulden. Doch nur weil seine Leistung so groß, so unübersehbar und psychisch belastend ist, können die anderen neben ihm durch starke Ruhepole so sehr glänzen. "State of Play"-Star Helen Mirren muss zuvorderst die grauenhaften Akte ihres Ehemannes dulden und darf später dafür richtig auf den Putz hauen. Und Richard Bohringer als ruhiger Koch gibt diesem ansonsten so ekstatischen, nervenzehrenden One-Man-Amoklauf Gambons eine wohltuende Ruhe.
Die Inszenierung wird dabei als eine Art Kammerspiel durchgezogen, die sich über weite Strecken in und um das Restaurant abspielt. Mit langen Kamerafahrten, einem perfekt aufs Filmmaterial auskomponierten Soundtrack und nachhaltigen Bildern entsteht ein gewisser Rausch, der jedoch nicht für jeden Zuschauer zwangsläufig genau das sein wird. Wer diesen Film nämlich nur oberflächlich auf seine recht simple Rachegeschichte zurechtstutzen will, findet durchaus Klischees, Vorhersehbarkeiten und deutliche Längen. Es sind aber immer wieder kleine, inszenatorische Spitzen wie die Anzahl der gesprochenen Worte eines jeden Charakters, die sich fein hervortun. Und dann gibt es da ja auch noch ein Finale, welches in dieser Form tatsächlich sprachlos macht und einen wahrhaftigen, aber auch ziemlich grenzwertigen Höhepunkt darstellt. Kein einfacher Film, sondern ein Werk, welches stresst, anstrengt und beizeiten wütend macht. Aber durchaus etwas Bemerkenswertes, auch wenn es eine halbe Stunde weniger auch getan hätte.

Fazit: Ein ebenso stressiges wie inszenatorisch auftrabendes Ensemblestück als Kammerspiel, getragen von hervorragenden Darsteller*innen. Trotz einiger Längen und zu simpel geschriebenen Figuren sicherlich auch heute noch einen Blick wert - ein dickes Fell vorausgesetzt.

Note: 3



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