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Origin der kleinen, bösen Esther: Filmkritik zu "Orphan: First Kill"

Leena (Isabelle Fuhrman) mag wie ein kleines Mädchen aussehen, ist jedoch in Wahrheit eine dreißigjährige Frau, die an einer seltenen Drüsenkrankheit leidet, welche ihr Wachstum im Kindesalter gestoppt hat. Im Saarne Institut gilt sie als gefährlichste, weil vollkommen undurchsichtige und stets gewaltbereite Insassin. Als Leena schließlich die Flucht aus dem Institut gelingt, setzt sie alles daran, sich abzusetzen und eine neue Identität anzunehmen. Aufgrund der optischen Ähnlichkeit beschließt sie, sich als das vor vier Jahren vermisste Mädchen Esther Albright auszugeben und bei ihrer Familie unterzukommen. Dies erweist sich jedoch als schwieriger als zuvor vermutet: Sowohl Esthers Mutter Tricia (Julia Stiles) als auch die Therapeutin Dr. Segar (Samantha Walkes) sowie der mit dem Vermisstenfall beauftragte Detective Donnan (Hiro Kanagawa) haben offensichtliche Zweifel daran, dass es sich bei Leena um das verschwundene Kind handeln könnte... Zweifel, die Leena alsbald dazu bringen, zu handeln.

Eine Fortsetzung zu dem Überraschungshit "Orphan" (der auch heute noch zu meinen Favoriten im Bereich des Horror-Kinos zählt) stand angesichts des deutlichen Endes außer Frage - die Idee zu einer Vorgeschichte rund um die manipulative und gemeingefährliche Esther klang dagegen äußerst reizvoll. Ein guter Einfall also, sich dieser zu widmen, um die Marke nach dreizehn Jahren erneut auf den Markt zu werfen, denn auch wenn wie üblich die Gefahr einer Entmystifizierung einer kultigen Figur im Raum stand, so waren die noch nicht beantworteten Fragen zur Vergangenheit Esthers einfach zu dringlich, um sie vollends unerklärt zu lassen. Und tatsächlich haben die Macher rund um Regisseur William Brent Bell einen feinen Weg gefunden, die Vorgeschichte auch für Kenner des Originals spannend zu halten und sich dabei dennoch nicht mit der später stattfindenden Hauptgeschichte zu überwerfen: Der gesamte Bogen wird rund und wird kaum überstrapaziert, auch wenn eine zentrale Wendung (trotz der eigentlich bekannten Ausgangslage schafft man es auch hier, uns mit einem ziemlich genialen Turn nochmal zu überraschen) die Glaubwürdigkeit bisweilen arg strapaziert.
Das Autorenteam hat sich nicht auf den altbekannten Manirismen des Originals ausgeruht und erzählt die Vorgeschichte daher nicht in erwartbaren Bereichen. Das ist sowohl Vor- als auch Nachteil eines Prequels, welches das Original in entscheidenden Momenten durchaus bereichert und Fragen beantwortet, die wir uns schon länger gestellt haben. In dem Drang, uns aber erneut zu überraschen, schießen sie bisweilen ein wenig übers Ziel hinaus, was zu einem reinen Schaulaufen der Psychopathen führt, bei dem man sich ernsthaft fragen muss, ob Esther bzw. Leena denn nun wirklich die Durchgeknallteste in diesem Haufen ist. Das bleibt dann zwar durchweg spannend, überzeichnet gerade im letzten Drittel aber auch sehr arg, wenn man es mit dem schwarzen Galgenhumor und diversen Tötungsversuchen doch etwas übertreibt. Trotzdem gelingen Bell einige atmosphärisch dichte Momente: Allein Leenas erster Auftritt im Saarne Institut ist in Sachen Spannungsaufbau beinahe makellos und generell werden die Erwartungen hinsichtlich einer Geschichte, die man nach dem Original zu kennen glaubt, immer wieder clever unterlaufen.
Eine große Überraschung war zudem vorab, dass Isabelle Fuhrman dreizehn Jahre nach dem Original tatsächlich erneut in die Rolle der Esther bzw. Leena schlüpfen würde - immerhin war sie zum Zeitpunkt des Prequel-Drehs bereits fünfundzwanzig Jahre alt und sah optisch nicht mehr wie ein Kind aus. Viel Tricksereri, Make-Up und natürlich CGI sollten helfen, Fuhrman wieder in Esther zu verwandeln, doch das geringe Budget lässt diese Immersion nicht immer zu: Oftmals ist sichtbar, dass mit visuellen Effekten nachgeholfen wurde, besonders wenn Nahaufnahmen ins Spiel kommen. Dass wir dennoch erneut in den Genuss der grandiosen Performance des "Die Tribute von Panem"-Stars kommen dürfen, gleicht diese technischen Makel wieder aus. Wenn Fuhrman spielerisch zwischen kindlicher Freude und einer sofort herabgelassenen Maskerade wechselt, um ihren vollen Wahnsinn, die Wut und auch die Irre einer bereits erwachsenen Frau in kindlicher Erscheinung zu entfalten, dann hat das immer noch eine schauspielerische Wucht, an der man sich kaum sattsehen kann. Diese Szenen sind dann nach wie vor atmosphärisch dicht und auch wenn der gruselige Überraschungsfaktor um ihre Figur diesmal erzwungenermaßen ausbleibt, kann ihre Darstellung weiterhin fesseln.

Fazit: Mit "First Kill" ist ein zumeist rundes Prequel zu "Orphan" gelungen, welches das Original an vielen Stellen bereichert. Trotz einer atmosphärischen Inszenierung und der Rückkehr einer wieder schaurig-starken Isabelle Fuhrman in der Hauptrolle schießen die Autoren mit einigen überspitzten Entwicklungen, die Überraschungen forcieren sollen, auch mal hart übers Ziel hinaus.

Note: 3



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