Direkt zum Hauptbereich

Wie man Konflikte nicht abhandeln sollte: Filmkritik zu "The Banshees of Inisherin"

Im Jahr 1923 auf der kleinen, irischen Insel Inisherin: Der etwas naive Padraic Suilleabhain (Colin Farrell) versteht die Welt nicht mehr: Sein langjähriger, bester Freund Colm Doherty (Brendan Gleeson) möchte plötzlich ohne Angabe von Gründen nichts mehr mit ihm zu tun haben und kündigt ihm die Freundschaft. Erst glaubt Padraic an einen Scherz, merkt jedoch am zweiten Tag des Konflikts, dass es Colm bitterernst mit dieser Trennung ist - er droht letztendlich sogar, sich stets einen Finger abzuschneiden, wenn Padraic ihn erneut "belästigt". Padraic ist hoffnungslos überfordert mit der Situation, die alsbald auch droht, die gesamte Einwohnerschaft der Insel auf Trab zu halten. Er wendet sich an seine Schwester Siobhan (Kerry Condon), die jedoch eine ganz eigene Meinung zu dem Leben auf Inisherin hat...

"The Banshees of Inisherin" ging als einer der großen Verlierer aus der Oscarnacht 2023 heraus - bei sagenhaften neun Nominierungen stand am Ende des Abends kein einziger Gewinn, womit er sogar die ebenfalls leerausgegangenen "Elvis" (acht Nominierungen), "The Fabelmans" (sieben Nominierungen) und "Tar" (sechs Nominierungen) überflügelte. Das ist natürlich keinerlei Qualitätsmerkmal, denn alleine die Tatsache einer neunfachen Nominierung (darunter alle fünf Hauptpreise) ließen vermuten, dass der neueste Film von "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri"-Regisseur Martin McDonagh etwas ganz Besonderes sein würde. Mit seinen vorherigen Werken, die ebenfalls von Kritikern umjubelt wurden, aber dennoch auch für ein Mainstream-Publikum recht zugänglich inszeniert wurden, hat "Banshees" allerdings nichts mehr zu tun. McDonagh entwirft zu Beginn einen scheinbar lapidaren Konflikt, der gerade unter der Oberfläche wahnsinnig viel über uns Menschen erzählt: Als Spiegelbild eines auf einer Nachbarinsel tobenden Bürgerkrieges erzählt er, wie untalentiert der Mensch darin ist, mit Konflikten zu leben... und was für Rattenschwänze an solchen Streitereien dranhängen können.
Dabei entwirft McDonagh auch ein sehr interessantes, durch süffisanten Humor aufgelockertes Bild einer von der Welt schier vergessenen Insel und deren ziellos vor sich hinlebenden Einwohner*innen - etwas, was den zentralen Konflikt zwischen den zwei alten Freunden wohl noch zusätzlich befeuert. McDonagh erzählt über das Leben und mögliche Ziele, aber auch von Momenten ohne großen Glanz, dafür aber mit ganz viel Inhalt. Das mag für manch einen Zuschauer zu sperrig sein und trotz einiger sympathischer, humoristischer Elemente ist "Banshees" ein Film, der einen im Kern ziemlich herunterziehen kann. Mit eindrücklichen Ideen zeichnet er vor allem die Figur des Padraic Suilleabhain, der von dem plötzlichen Streit gar den Verstand zu verlieren droht und nicht mehr weiß, was er überhaupt tun soll oder tun kann, wahnsinnig stimmig nach. Das ist oftmals tieftraurig und geht an die Substanz, hat aber auch einen schwarzen Humor, der nur in wenigen, untypisch clownesken Momenten etwas zu bemüht wirkt. Bis über die Nebenfiguren, die allesamt schrullig und dennoch angenehm menschlich wirken, zeichnet McDonagh dieses illustre Bild einer Gemeinschaft, die alles voneinander weiß und trotzdem nichts so richtig weiß.
Für die beiden Hauptrollen hat McDonagh das Gespann aus seinem vorherigen Kultfilm "Brügge sehen... und sterben?" wieder zusammengetrommelt. Colin Farrell und "Albert Nobbs"-Star Brendan Gleeson bei ihren stimmigen Performances zuzusehen, ist dabei erwartungsgemäß ein Genuss. Farrell's intensive Darstellung eines naiven Mannes, der in seiner tiefsten Seele so nett ist, dass er gerade deswegen den Anschluss verliert, bis sich auch in ihm düstere Variablen offenbaren, ist in jeder Phase charmant und schließlich eindrucksvoll. Ihm gegenüber agiert Gleeson als eine Art in sich ruhender und irgendwann brodelnder Vulkan, dem eine Situation entgleitet, die er zuvor selbst nicht verstanden hat. Beide agieren fantastisch, doch werden zwei Namen in den Besprechungen oft vergessen: Mit dem Plot rund um den "Dorfdeppen" Dominic konnte ich wenig anfangen, da dessen Geschichte den Plot des Films an unpassenden Stellen unangemessen aufplustert, was für manch eine Länge und auch für ein paar seltsame Überspitzungen sorgt - Barry Keoghans Performance in dieser Rolle ist dennoch über jeden Zweifel erhaben. Und "Better Call Saul"-Star Kerry Condon ist als eine Stimme der Vernunft nicht nur ein wichtiger Identifikationspunkt, sondern liefert darüber hinaus auch noch eine solch energetische und oftmals wahnsinnig befriedigende und gar spaßige Vorstellung, dass sie sich hinter den mit Lobhudeleien geradezu überschütteteten Gleeson und Farrell keinesfalls verstecken muss.

Fazit: "Banshees" ist allem voran ein Triumph eines brillant aufspielenden Casts und darüber hinaus eine ebenso niederschmetternde wie leichtfüßige Abhandlung über die Unfähigkeit des Menschen in Konfliktsituationen. Trotz einiger Längen, Überspitzungen und eines zu viel Raum einnehmenden Nebenplots ein beeindruckender Film, tief, sinnig und anregend.

Note: 2-



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se