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Leider die effekthascherische Variante: Filmkritik zu "3096 Tage"

Im März 1998 wird die damals zehnjährige Natascha Kampusch (Amelia Pidgeon) von dem alleinstehenden, arbeitslosen Techniker Wolfgang Priklopil (Thure Lindhardt) in einen Lieferwagen gezerrt und entführt. Die nächsten acht Jahre soll Natascha über weite Strecken in einem engen Kellerloch, welches nur behelfsmäßig als eine Art Zimmer aufgebaut wurde, verbringen. Die ersten Hoffnungen seitens einer Rettung verflüchtigen sich bald und die Polizei tappt aufgrund mehrerer kalter Spuren im Dunkeln. Als sie älter wird, baut Natascha (jetzt: Antonia Campbell-Hughes) eine Beziehung zu ihrem Entführer auf, muss sich jedoch auch jeden Tag aufs Neue vor seinen Launen, seinen aggressiven Befehlen und seinen körperlichen Übergriffen fürchten. Die einzige Hoffnung, die ihr bleibt, ist die, dass ihr eines Tages doch noch irgendwie die Flucht gelingen könnte. Doch wie soll das geschehen, wenn der extrem vorsichtige Priklopil sie kaum aus den Augen lässt?

Es dürfte wohl kaum jemanden in Deutschland geben, der von dem Entführungsfall der Natascha Kampusch bislang nichts gehört hat - auch, weil er ab dem Jahr 2006 von einem schier beispiellosen Mediengewitter umworben war. Nach dem Buch folgte im Jahr 2013 dann, gemäß allen ungeschriebenen Gesetzen der Medienlandschaft, eine Verfilmung des Falles, die ebenso wie der Roman den Titel "3096 Tage" trägt und dabei auf die Dauer der Entführung der jungen Natascha anspielt. Es ist ohnehin schwer, einen solch langen Zeitraum in nur rund hundert Filmminuten zusammenzufassen... und wenn es sich dabei um eine reale Begebenheit solchen Ausmaßes handelt, ist es dabei sogar fast unmöglich, als Filmemacherin nicht irgendwie zu scheitern. Regisseurin Sherry Hormann scheitert aber nicht nur, sondern vollbringt das unangenehme Kunststück, den tragischen Fall zu einem reinen Gewitter zu machen. Ein Best Of der dramatischen Fälle quasi, eine Aneinanderreihung von Grausamkeiten. Das ist oftmals wirklich an der Grenze zur Belastbarkeit für das Publikum, kann sich aber auch nicht der Tatsache entziehen, dass hier mit einem realen Drama deutliche Effekthascherei beschrieben wird.
Gerade die zweite Hälfte, in der sich ein Martyrium aneinanderreiht, zeugt davon - nach einem großen Zeitsprung scheint es so, als wolle "3096 Tage" noch rasch die grausamsten Eckpunkte des Falles nacherzählen, um dann zum Finale zu kommen. Es lässt sich nicht wegargumentieren, dass der Film in der Ausarbeitung dieser Szenen packend und schockierend ist - gerade die atmosphärischen Bilder des meisterhaften Kameramanns Michael Ballhaus sorgen dafür, dass sich das erschreckende Kammerspiel immer wieder ins Mark brennt. Wirklich in die Tiefe geht der Film aber nicht, filmt diese Szenarien eher nur ab statt sich den Figuren wirklich anzunähern. Das wäre bei solch einem verachtenswerten Individuum wie Priklopil wohl ohnehin nicht wünschenswert und möglich, doch spielt der Film nicht mal mit irgendwelchen Ambivalenzen und scheint die Überschreitung von diversen Grenzen (besonders wenn es um sexuellen Missbrauch geht) gar selbst noch zu zelebrieren. Obwohl der Spannungsaufbau in einigen Momenten, trotzdessen man den Ausgang der Geschichte kennt, höchst gelungen ist, mag sich ein Mittendrin-Gefühl nicht einstellen... obwohl sich jeder vor und hinter der Kamera um dieses wahnsinnig zu bemühen scheint.
Problematisch ist dabei auch die Besetzung der britischen Schauspielerin Antonia Campbell-Hughes. An ihrer schauspielerisch intensiven Leistung lässt sich nichts aussetzen und dass sie der wahren Natascha Kampusch optisch praktisch gar nicht ähnelt, lässt sich ebenfalls verschmerzen. Trotzdem wirkt sie im Alter von 30 Jahren schlichtweg einfach nie glaubwürdig als eine vierzehnjährige Teenagerin, die ihre erste Periode entdeckt oder ihren Körper akzeptieren muss. Die Gründe dafür liegen natürlich auf der Hand, doch muss man sich fragen, wieso man bei dieser Besetzung so danebengriff, wenn der restliche Cast so sehr stimmt. Die junge Natascha wird zum Beispiel von der damaligen Kinderschauspielerin Amelia Pidgeon dargestellt, die in ihren Szenen eine wahrhaftige Intensität darbietet, die es schwer machen, da noch hinzuschauen. Wenn eine Haarwäsche urplötzlich vollkommen eskaliert oder Pidgeon ihren Entführer durch ein Fenster um eine Mahlzeit anfleht, verschmilzt sie praktisch mit der realen Person, die sie hier darbietet. Auch die Leistung von Thure Lindhardt weiß zu gefallen, auch wenn sie immer wieder ganz nah an der Grenze zur typischen Psychopathen-Überzeichnung schrammt - trotzdem agiert er im Zusammenspiel mit seinen beiden Spielpartnerinnen wahnsinnig boshaft, bis man tatsächlich echte Angst vor ihm bekommen kann.

Fazit: Der wahre, tragische Entführungsfall verkommt in dieser Verfilmung zur generischen Effekthascherei, die die grausamsten Eckpunkte nahtlos aneinanderrreiht. Trotz zumeist toller Darsteller (wenn auch einer eklatanten Fehlbesetzung) sowie einer intensiven Inszenierung, hinterlässt dieser Film einen sehr, sehr faden Beigeschmack.

Note: 4+



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