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Stronger

Ein schwerer Anschlag auf den Boston Marathon kostete am 15. April 2013 drei Menschen das Leben, mehr als zweihundert wurden verletzt. Die Ereignisse des Anschlags und besonders die nachfolgende Jagd auf die beiden Täter wurden im Jahr 2016 bereits in dem Film "Boston" behandelt... und dieses Werk bot tatsächlich starke Thriller-Unterhaltung. Im Jahr 2017 nahm sich auch Regisseur David Gordon Green des Themas an, widmete sich jedoch einem der Einzelschicksale: Jeff Bauman verlor beide Beine. Und wie Green diesem Mann und den Menschen um ihn herum ein filmisches Statement setzt, das ist durchaus beeindruckend.

STRONGER


Seit Wochen läuft der noch bei seiner Mutter Patty (Miranda Richardson) wohnende Jeff Bauman (Jake Gyllenhaal) seiner Ex-Freundin Erin Hurley (Tatiana Maslany) nach... und verspricht ihr sogar, beim diesjährigen Boston Marathon, auf welchem sie mitlaufen wird, an der Ziellinie auf sie zu warten. Dabei wird Jeff während eines schweren Anschlags auf die Zuschauertribünen schwer verletzt und büßt beide Beine unterhalb der Knie ein. Dies führt Erin zu ihm zurück... doch in den nächsten Wochen und Monaten, als Jeff sich zurück ins Leben und gleichzeitig gegen sein Heldentum, welches seine Familie befeuert, ankämpft, muss auch sie die Zähne zusammenbeißen und schwere Hürden überwinden.

Es wäre ein Leichtes, einen solchen Film mit Pathos vollzustopfen und man kann nicht sagen, dass es "Halloween"-Regisseur David Gordon Green immer gelingen würde, diesem auszuweichen... kurz vor Schluss leistet er sich diesbezüglich sogar einen bemerkenswerten Fauxpas, als ein Zivilist Jeff anspricht und aussagt, dass diese "Schweine sie niemals fertigmachen würden", dank ihm. Das wird durch einen Handschlag und pompöse Musik unterstrichen, hat innerhalb der Geschichte der USA so auch sicherlich seine Wirkung und Verständnis... aber zuvor ist Green diesen Momenten nicht nur perfekt ausgewichen, sondern hat das Heldentum Jeffs auch als notwendiges und nervenaufreibendes Übel inszeniert, was sogar bemerkenswert kritisch war. 
Tatsächlich möchte sich Green wenig um das Heldengemurmel kümmern, stellt auch Jeffs Familie, die Oprah einladen und ständig neue Treffen mit Prominenten arrangieren, die Jeff ihre Bewunderung ausdrücken wollen, als eher minderbemittelte und empathisch schlecht veranlagte Menschen dar - das ist manchmal etwas plakativ, erfüllt so aber durchaus den Zweck der Geschichte, die Green erzählen will. Und die ist eine, die ins Herz trifft: Green stellt den Heldenstatus, in den Bauman hineingeschoben wird und mit dem er eigentlich gar nichts anfangen kann, gegenüber mit den hilflosen Bildern eines jungen Mannes, der sich mühen muss, überhaupt alleine aus einem Auto auszusteigen. Ein ungemein energetischer Konflikt, der dabei nicht überhöht wird und den Green nur noch laufen lassen muss - kein Pathos, keine Plakativität, sondern einfach nur ein intensiver Konflikt, der niemanden unberührt lässt. 
Der zweite große Plot dreht sich um die Beziehung zwischen Erin und Jeff. Beide nähern sich wieder an, nachdem das Schicksal ihnen so schrecklich mitgespielt hat und auch hier beweist das Skript von Autor John Pollono viel Mut: Es stellt Bowman nicht bloß als freundlichen Mann dar, der sich wider allen Erwartungen zurück in die Normalität kämpft, sondern gewinnt ihm auch düstere Seiten ab - so düster, dass man ihn zwischenzeitlich nicht mal mehr sympathisch finden mag. Die meisten Sympathien verbucht stattdessen seine Freundin Erin auf sich, die alles stehen und liegen lässt, Tränen wegdrückt, ihr eigenes Leben hintenanstellt, um von Jeffs Familie beleidigt und ausgegrenzt und schließlich sogar von Jeff fertiggemacht zu werden. Ein zweiter, ungemein kraftvoller Konflikt, der den Blickwinkel mutig erweitert und dabei natürlich besonders von den Darstellern getragen wird. 
Die Funken zwischen Jake Gyllenhaal und "Orphan Black"-Star Tatiana Maslany fliegen, gerade letztere beweist dann auch in den emotional unter die Haut gehenden Szenen, dass sie schier den Bildschirm auffressen kann. Ohne zu überzeichnen liefert sie sich manch ein herausragendes Wortduell und bringt die emotionale Grenze ihrer Figur ungemein glaubhaft wieder. Neben ihr weiß natürlich auch "The Day After Tomorrow"-Star Jake Gyllenhaal nachhaltig zu beeindrucken - dass er einer der besten Darsteller des heutigen Hollywoods ist und sich in förmlich jede Rolle mit aller Kraft, die er aufbringen kann, hineinwirft ist bekannt und da macht er bei einer solchen Geschichte natürlich keine Ausnahme. Gyllenhaal wirkt zäh, manchmal abgekämpft und verleiht dem tragischen Einzelschicksal in allen Gemütslagen ein Gesicht - und was für eines! Schade, dass David Gordon Green diesen leisen Ansatz später etwas verliert, sich doch etwas zu harsch zur Heldengeschichte und zum frenetischen Jubel hinreißen lässt. Hätte er seine Spur gehalten, wäre sicherlich noch eine höhere Note dabei herausgekommen, denn der Rest ist wirklich, wirklich stark.

Fazit: Jake Gyllenhaal und Tatiana Maslany spielen sich gemeinsam die Seele aus dem Leib, ohne zu überzeichnen. Der Film über die wahren Ereignisse rund um Jeff Bauman verweigert sich dabei weitestgehend dem Pathos, erzählt eine Geschichte über einen unfreiwilligen Helden und dessen komplexe Beziehungen mit viel Gefühl und intensiven Konflikten, die ordentlich Brennstoff haben.

Note: 2




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