Wahrscheinlich hätte sich zu Beginn des neuen Jahrtausends kaum jemand vorstellen können, dass Reese Witherspoon nur wenige Jahre später einen Oscar gewinnen würde. Dass sie auch in ganz anderen Filmen als in netten Komödien glänzen kann, bewies sie im Jahr 2005 in dem grandiosen Musiker-Biopic "Walk the Line", wo sie dann auch sogleich mit dem Oscar als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurde. Im Jahr 2015 folgte dann schließlich eine zweite Nominierung, diesmal für die Hauptrolle. Und auch wenn es diesmal nicht zu einem Sieg reichte - die Rolle der Cheryl Strayed, die sich auf einen mehrmonatigen Wandertrip begibt, um ihr eigenes Leben zurück in die richtigen Bahnen zu lenken, dürfte sicherlich eine von Witherspoons prägnantesten bleiben.
DER GROSSE TRIP - WILD
Die sechsundzwanzigjährige Cheryl Strayde (Reese Witherspoon) begibt sich auf eine tausend Kilometer lange Wanderung, dem Pacific Crest Trail folgend. Mit diesem Trip möchte Cheryl etliche Schicksalsschläge, die sie zuvor in ihrem Leben ereilten, überwinden und auch sich selbst zurück in die rechte Bahn lenken, wo sie zuvor doch vom fokussierten Weg abgekommen ist. Schon früh glaubt Cheryl, dass sie sich mit ihrer Aufgabe womöglich zu viel zugemutet und sich auch nicht gut genug vorbereitet hat - die unerbittliche Natur, die Hitze und vor allem ihr schwaches Schuhwerk bringen sie an die Grenze zur Verzweiflung. Dennoch will die junge Frau nicht aufgeben und nimmt jede Herausforderung an, die sich ihr in den Weg stellt...
Regisseur Jean-Marc Vallee, der zuvor bereits den mit mehreren Oscars ausgezeichneten "Dallas Buyers Club" inszenierte, sowie der ebenfalls oscarprämierte Drehbuchautor Nick Hornby standen hier vor der gar nicht so einfachen Aufgabe, eine an sich recht dünne Geschichte, die ziemlich harsch mit psychologisch-esoterischen Momenten spielt, zu einem spannenden Film umzumünzen. Sie mussten ihrer Protagonistin, nach deren Roman dieses Werk entstand, gerecht werden, zugleich aber auch rein filmisch überzeugen - angesichts der Tatsache, dass Cheryl über weite Strecken allein unterwegs ist und dabei weniger mit der Natur als viel mehr mit ihrem persönlichen Ballast fertigwerden muss, klang das ziemlich schwer.
Hornby und Vallee greifen deswegen etwas tiefer in die Trickkiste, starten direkt mit Cheryls Aufbruch, um ihre Vergangenheit (aufgrund welcher sie sich überaupt erst auf die Wanderung begibt) anschließend in wohldosierten Rückblenden aufzublättern. Was genau Cheryl also auf ihren großen Trip trieb, welche Geister der Vergangenheit sie hier für sich, still und allein, bekämpfen muss, das findet der Zuschauer erst mit der Zeit heraus... auch wenn dabei keine großen Überraschungen oder Wendungen zu vermelden sind, manchmal sogar doch recht deutlich mit Klischees des persönlichen Dramas gespielt wird. Aber auf solcherlei Überraschungen ist dieser Film auch gar nicht aus - stattdessen war es wohl Vallee's Ziel, seine Cheryl auf eine Reise zu schicken, die ein Kampf mit ihr selbst ist.
Dementsprechend ruhig, beinahe hypnotisch still zeigt sich "Wild" dann auch. Es braucht keine großspurigen Dialoge und selbst die episodenhaft angelegten Treffen mit anderen Wanderern und Einwohnern laufen weitestgehend klein ab. Die Personen reden, aber niemals lange, bevor sich Cheryl schließlich wieder auf den Weg macht und dann erneut mit sich alleine unterwegs ist. Dank einer kraftvollen Performance von "Das Zeiträtsel"-Star Reese Witherspoon, die sich hier redlich Mühe gibt, sowohl auf den Putz zu hauen als auch einen erinnerungswürdigen, mehrschichtigen Charakter zu erschaffen und dem realen Vorbild gerecht zu werden, wird es dabei nur selten langweilig.
So richtig packend ist "Wild" dann aber eben auch nicht, denn wirklich dramatisch geht es hier nicht zu. Selbst kleinere und größere Gefahren, denen sich Cheryl in der Wüste aussetzt, sind nicht von Dauer, werden meist recht unaufgeregt gelöst. Das fördert den Realismus und lenkt nicht von der persönlichen Reise seiner Protagonistin ab. Vallee und Hornby mussten also nicht klotzen, das hätte zu diesem Film auch gar nicht gepasst. Trotzdem wäre es schön gewesen, an gewissen Momenten noch etwas mehr in die Tiefe zu gehen - besonders die Geschichte rund um Cheryls jüngeren Bruder wirkt hier etwas gehetzt. Nicht immer zahlt es sich aus, Vergangenheit und Gegenwart parallel zueinander zu entblättern, manchmal zerfasert "Wild" daher in seinen episodenhaftigen Szenen, die Nebenfiguren bleiben weitestgehend blass, manchmal sogar vollkommen planlos. Das senkt den Unterhaltungsfaktor nicht enorm, mit wesentlich kräftigeren und packenderen Werken wie "Into the Wild" kann dieser Film aber definitiv nicht konkurrieren.
Fazit: Dankenswerterweise trägt "Wild" nicht zu dick auf und hat mit Reese Witherspoon eine sehr überzeugende Hauptdarstellerin im Gepäck, die sich mehr als nur müht. Unter den schönen Bildern versteckt sich jedoch auch eine gewisse Episodenhaftigkeit, wobei man in einigen Momenten durchaus etwas mehr in die Tiefe hätten gehen können, ohne dramaturgisch zu überzeichnen.
Note: 3+
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