Im Jahr 2018 liefen zwei Beiträge rund um den beliebten, honignaschenden Bären Winnie Puuh in den deutschen Kinos. Der wesentlich mainstreamigere und dennoch sehr unterhaltsame "Christopher Robin" stellte dabei eine Art Realfilm-Fortsetzung der bekannten Geschichte unter dem Hause Disney dar, wurde zuletzt gar für einen Oscar für die besten visuellen Effekte nominiert. Der zweite Film erfuhr leider nur einen wesentlich kleineren Kinostart - wohl auch, weil dieser sich schwerer bewerben ließ. In "Goodbye Christopher Robin" erzählt Regisseur Simon Curtis nun keine Fantasy-Geschichte rund um Puuh, Tigger und Co., sondern die Geschichte des Autors A.A. Milne... und wie er die Abenteuer des Bären durch seinen geliebten Sohn erschuf.
GOODBYE CHRISTOPHER ROBIN
Sein Einsatz im Ersten Weltkrieg hat dem Autoren Alan Milne (Domhnall Gleeson) seelisch geschadet - noch immer verfolgen ihn schreckliche Träume an seine Zeit im Schützengraben, sogar im Alltag. Deswegen beschließt er gemeinsam mit seiner Frau Daphne (Margot Robbie) und Sohn Christopher Robin (Will Tilston), aufs Land zu ziehen. Dort brütet er schließlich, auch angefacht von den Spielen seines Sohnes mit dessen Plüschtieren, über einer Kindergeschichte. Daphne zeigt sich anfangs nicht beeindruckt, doch tatsächlich wird "Winnie, the Pooh" zu einem beeindruckenden Erfolg. Mit der Zeit zeigt sich für Alan jedoch, dass er mit diesem insbesondere seinem Sohn nicht nur Gutes getan hat...
Wer sich noch nie genau mit der Entstehung des beliebtesten Kinderbuches aller Zeiten (zu diesem wurde "Winnie the Pooh" kürzlich gewählt, wie eine Texttafel vor dem Abspann am Ende des Filmes hinweist) auseinandergesetzt hat, für den dürfte "Goodbye Christopher Robin" eine erhellende Erfahrung sein. Man mag mich schelten, ich kannte den honigschlürfenden Bären bislang jedoch weitestgehend in der kommerziellen Disney-Variante, so vor allem auch über die Trickfilme oder den Auftritt in den "Kingdom Hearts"-Videospielen. Von diesen wendet sich "My Week with Marilyn"-Regisseur Simon Curtis nun deutlich ab - er verliert kein schlechtes Wort über diesen Kommerz, jedoch spielt Disney hier auch keinerlei Rolle. Es geht einzig und allein um die Originalgeschichte, die A. A. Milne einst für seinen Sohn erschuf... und um die Hintergründe einer auseinanderbrechenden Familie, womit eben auch Milnes Buch etwas zu tun hatte.
Das ist dann manchmal sehr aufbauend und schlichtweg herzzerreißend schön, doch verweigert sich Curtis auch nicht den düstereren Passagen - wie insbesondere der plötzliche Ruhm nach dem Erfolg des Buchs Christopher Robin in seinen Kindheitszeiten schadete, dem widmet er sich mit ausführlicher Finesse. Auch wenn er hier und da etwas überspitzt, die Geschichte durchaus auch etwas leiser hätte erzählt werden können, so trifft er hier fast immer den absolut richtigen Ton. Er widmet sich den Eheproblemen zwischen Milne und seiner herrischen Frau Daphne, er hat einen genauen Blick auf das Kindermädchen Olivia und natürlich auf den seelischen Zustand der beiden Männer im Haus: Auf der einen Seite der vom Krieg gebeutelte Alan, der sich durch die Erstellung des Buchs auch eine neue Annäherung zu seinem Sohn erhofft; auf der anderen Seite Christopher Robin, der anfänglich erfreut über die Geschichte ist, mit dem späteren Ruhm aber kaum etwas anfangen kann.
In dieser Zeit läuft "Goodbye Christopher Robin" dann vollkommen rund: Eingefangen in wunderschöne Bilder des englischen Cottage, mit einem nahezu perfekten Gespür für die kleinen Momente und getragen von brillanten Darstellern entfaltet sich ein ebenso bewegendes wie ehrliches Drama, ohne Überzeichnungen oder Längen. Eine wahre Entdeckung ist dabei durchaus Will Tilston, der als titelgebende Kinderrolle mit sehr glaubwürdigem Spiel überzeugt - neben ihm lässt sich auch "Harry Potter"-Star Domhnall Gleeson zum wiederholten Male zu ganz starken Leistungen hinreißen. Das wahre Highlight sind jedoch die beiden Damen im Cast: "I,Tonya"-Star Margot Robbie vollführt zum wiederholten Male die Perfektion in der Rolle der herrischen Frau mit Herz und Kelly MacDonald, ebenfalls bekannt aus dem letzten Potter-Film, hat als herzliches Kindermädchen, welches dem Kind beinahe näherkommt als deren richtige Eltern, einige unvergessliche Momente zu bieten.
Leider verliert der Film gerade auf seinen letzten Metern an Schwung: Christopher Robins Eintritt ins Erwachsenenleben beginnt leider viel zu spät, diese Episode wirkt ein wenig nachträglich hinzugetackert, verläuft nahezu rasant und ohne dramaturgisch passenden Spannungsbogen. Hier fehlen plötzlich packende Details, weswegen der Film gerade auf dem, was eigentlich ein dramatischer Höhepunkt hätte sein müssen, eher zu Ende dümpelt. Das ist schade, hat man zuvor doch gerade in diesem Bereich eine wundervolle Geschichte gesehen - ein ebenso packender wie bewegender Film über eine komplexe Familiengeschichte ist "Goodbye Christopher Robin" trotz des schwachen Schlussdrittels aber dennoch weiterhin.
Fazit: Bevor der Film gegen Ende dramaturgisch unausgegoren in den Abspann übergeht, haben wir eine bewegende Familiengeschichte gesehen. Simon Curtis hat ein wunderbares Gespür für Bilder, für kleine Momente und für die Führung seiner exzellenten Darsteller - ein herzlicher Film, vor allem dank seiner glaubwürdigen Menschlichkeit.
Note: 2-
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