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Alles, was wir geben mussten

Manche Filme gefallen einem bei der ersten Sichtung nicht, wenn man ihnen Jahre später und mit einigem Filmwissen mehr aber noch einmal eine Chance gibt, kann diese Sache plötzlich ganz anders aussehen. Das funktioniert natürlich auch anders herum - ich war von "Drive" bei der zweiten Sichtung plötzlich kaum noch beeindruckt, wo ich ihn zuvor noch als Meisterwerk vollkommen abfeierte. "Alles, was wir geben mussten" empfand ich im Jahr 2011 höchstens als solide, das Werk ließ mich etwas unterwältigt zurück. Nun, bei meiner zweiten Sichtung, gut acht Jahre später, hat er mir besser gefallen... wirklich abgeholt hat mich das emotionale Dreiecksdrama nach einem Roman von Kazuo Ishiguro aber noch immer nicht.

ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN


In den 70er-Jahren befinden sich Kathy (Izzy Meikle-Small), Ruth (Ella Purnell) und Tommy (Charlie Rowe) in der Einrichtung Hailsham - einem scheinbar strengen Internat, welches insbesondere auf die Gesundheit der Kinder achtet. Sie halten ihr Leben für ein ganz normales: Kathy verliebt sich in den schwierigen Tommy, als sie Jahre später und nach der Lüftung des Geheimnisses der Einrichtung und ihrer eigenen Zukunft jedoch erwachsen geworden sind, hat Tommy (Andrew Garfield) sich längst Ruth (Keira Knightley) ausgesucht. Kathy (Carey Mulligan) hingegen ist noch immer allein. Als das Schicksal alle drei auf unnachgiebige Weise einholt, können aber auch diese Liebespaare noch einmal durchmischt werden...

Es ist etwas schwierig, eine passende Handlungsbeschreibung dieses Films zu verfassen, ohne dabei das große, nach gut einem Viertel gelüftete Geheimnis der Einrichtung Hailsham bereits vorab zu verraten. Obwohl dieses bereits früh enthüllt wird, würde es gerade dem sehr atmosphärischen ersten Viertel viel von seiner Faszination nehmen, würde man dieses vorher kennen, weshalb ich hier nun auf diesen leichten Spoiler verzichte. Und deswegen liest sich meine Handlungsbeschreibung vielleicht auch ein wenig wie ein unausgegorenes, kitschiges Liebesdreieck - natürlich gibt es dieses Dreieck im Film und es spielt auch eine sehr wichtige Rolle, doch das ist es nicht, wovon das Werk lebt. Denn da sich "Alles, was wir geben mussten" insbesonders auf das Schicksal seiner drei Hauptfiguren und dem Lebensweg, wegen welchem es überhaupt erst dazu kommen konnte, konzentriert, treten doch einige Hänger auf. 
Die Ausgangssituation ist ebenso dramatisch wie packend, offenbar konnte "One Hour Photo"-Regisseur Mark Romanek hier aber nicht ganz aus dem Vollen schöpfen. Der Zuschauer versteht, was hier vor sich geht, aber Romanek bleibt uns eine wirklich nachvollziehbare, erklärende Entschuldigung für die Machenschaften des Hailsham schuldig. Vielleicht ist dies im Roman begründet, womöglich pochte der Autor damals darauf, zwar leise Antworten zu geben, den Rest jedoch den Zuschauer selbst enträtseln zu lassen. Das funktioniert im Film nun weniger gut, da viele Enthüllungen hier eher Behauptungen sind und diese nicht immer mit den emotionalen Zielen der Hauptcharaktere d'accord gehen. Einzelne Szenen haben eine großartige Dramatik, wissen zu berühren, doch der Film als Ganzes wirkt in seiner manchmal sehr sprunghaften, zu raschen Erzählung nicht so rund. Ein Wann enthält man uns nicht vor, ansonsten bleiben die Eckpfeiler der Geschichte aber bemerkenswert schwammig, weswegen sich auch das ganz große Drama um die drei Hauptfiguren nie komplett entfalten kann. 
Das ist etwas schade, liegt in diesem doch sehr viel Potenzial: "Domino"-Star Keira Knightley, der oscarnominierte Andrew Garfield und besonders die aus "Shame" und "Der große Gatsby" bekannte Carey Mulligan spielen hervorragend (auch wenn erstere zu Beginn wieder etwas arg überzeichnet) und besonders in den ruhigen, stillen Momenten erschafft Regisseur Romanek eine beeindruckende Atmosphäre, sieht förmlich in die Seelen der Menschen hinein. Das gelingt ihm ohne unsensiblen Kitsch, sondern mit einer ebenso langsamen wie treffsicheren Inszenierung, was sehr menschlich und echt wirkt. Schade also, dass das Drumherum dann nicht so ganz passt... und auch etwas schade, dass das erste Viertel, welches noch vollständig in der Einrichtung Hailsham spielt, direkt das stärkste ist. Danach baut der Film nicht enorm, aber doch immer stückweise ein wenig ab - doch auch das mag sicherlich in der Handlung des Romans zugrunde liegen.

Fazit: In seiner Dreieckskonstellation gelingen einige hervorragende, dramaturgische Passagen, getragen von starken Darstellern. Das Drumherum der Geschichte gerät im direkten Vergleich leider weniger überzeugend, zu bemüht und konturlos.

Note: 3




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