Direkt zum Hauptbereich

Leave no Trace

Es ist erstaunlich, wie viele potenzielle Filmperlen Monat für Monat an einem vorbeiziehen. Vielleicht ist das angesichts der Masse von Filmen, die jede Woche ins Kino kommen, aber auch nicht so verwunderlich - meistens bekommen wir nur von den großen Blockbustern oder Arthouse-Sleeper-Hits so richtig etwas mit, während kleinere Werke unter dem Radar laufen, in vielen Kinos überhaupt erst keine Seele erhalten. "Leave No Trace" lief damals in Konkurrenz zu der Massenware "Mile 22" und der langerwarteten Action-Fortsetzung "Predator: Upgrade"... und hätte mich Amazon Prime nicht irgendwann auf das Drama aufmerksam gemacht, hätte ich von der Existenz dieses Films wohl erst spät erfahren. Nun habe ich das Werk nachgeholt, kann in den einstimmig positiven Tonus der begeisterten Kritiker aber nicht vollends mit einstimmen...

LEAVE NO TRACE


Der ehemalige Kriegsveteran Will (Ben Foster) lebt gemeinsam mit seiner dreizehnjährigen Tochter Tom (Thomasin McKenzie) in einem Wald in Portland. Will unterrichtet seine Tochter, lebt mit ihr zusammen und hält sie beide so gut es geht von der Zivilisation fern... bis sie eines Tages von der Polizei aufgelesen werden, da das Zelten in öffentlichen Wäldern so nicht erlaubt ist. Da man besorgt um den sozialen Stand des Mädchens ist, werden Tochter und Vater vorsichtig in die Gesellschaft eingegliedert. Tom scheint damit nach einer kurzen Eingewöhnungsphase gut zurechtzukommen, Will jedoch möchte lieber allein mit ihr leben, will sie beschützen. Als er wieder abhauen möchte, muss Tom entscheiden, welchen Weg sie nun einschlagen will...

Die Ausgangssituation erinnert natürlich ein wenig an den großartigen "Captain Fantastic" aus dem Jahr 2016. Das oscarnominierte Drama unterscheidet sich aber hinsichtlich seiner insgesamt etwas heitereren Note und durch einen speziellen Einschnitt. Wo sich die Familie rund um Viggo Mortensen nämlich selbst entschied, den Weg in die Zivilisation zu wagen, werden Will und Tom zu diesem Schritt von außen gezwungen. "Hell or High Water"-Star Ben Foster kann diesem enormem Konflikt unglaublich viel Brisanz verleihen: In seinem Gesicht sehen wir, wie ein Mann, der die Zivilisation aus guten Gründen gemieden hat, plötzlich wieder mit ihr konfrontiert wird und auch seine Tochter langsam an diese zu verlieren beginnt. Wenn Will nach der Aufspürung durch die Polizei plötzlich in einem kargen Büro sitzt und per Kopfhörer und Mikrofon Fragen eines persönlichen Computertests beantworten soll, ist das ein ebenso trauriger wie einschneidender Moment - ein Mann, der die Technik verachtet, nun aber mit ihr interagieren soll. 
Noch interessanter ist der Konflikt rund um seine Tochter Tom, die diese Welt kaum zu kennen scheint und deswegen sehr aufgeweckt auf sie reagiert, sich von den Menschen und Möglichkeiten um sie herum anstecken lässt. Dabei geht das Drehbuch nicht zu forsch vor und bleibt dem vorsichtigen und klugen Charakter des jungen Mädchens durchgehend treu, auch dank einer schlichtweg grandiosen Darstellung von Thomasin McKenzie, die vor einigen Jahren durch den Fantasy-Blockbuster "Der Hobbit: Die Schlacht der fünf Heere" Bekanntheit erlangte. In seiner ersten Hälfte suhlt sich "Leave no Trace" in seiner einspinnenden Ruhe und genießt es, zwei Welten aufeinanderprallen zu lassen, weicht den üblichen Klischees eines solch düsteren Dramas gekonnt aus. 
Später können solche Fallstricke jedoch nicht mehr vermieden werden, denn ab dem Moment, an welchem Will und Tom nach einem Notfall an einem anderen Ort unterkommen, verliert das Skript an Brisanz. Plötzlich werden uns seltsame Kommunen-Klischees vorgesetzt und der Zuschauer wird mit der beinahe schon unwohlen Gutmütigkeit von schwach gezeichneten Nebenfiguren manipuliert. Das wirkt dann schon arg gewollt und führt den inneren Konflikt von Vater und Tochter schließlich zu einem ebenso unaufgeregten wie wenig nachvollziehbaren Klimax, den man so aber auch schon lange zuvor hat kommen sehen. 
Ab der Halbzeit verliert der Film nicht seine einzelnen Charaktere, wohl aber diese besondere Beziehung zwischen Will und Tom etwas aus den Augen und scheint schließlich nicht ganz zu wissen, wohin er mit seiner Erzählung laufen will - am Ende plätschert das Drama also eher etwas steif in den Abspann über und kann seinen zentralen Grundkonflikt nicht plausibel zu einem Abschluss bringen. Das ist dann aber eher die Schuld der Autoren, die irgendwann ihre Zügel etwas zu straff halten, weniger die Schuld von "Winter's Bone"-Regisseurin Debra Granik oder den brillant aufspielenden Darstellern. Die geben nämlich durchweg ihr Bestes und sorgen trotz manch eines störenden Klischees dafür, dass sich die gesamte Welt sehr authentisch und glaubwürdig anfühlt.

Fazit: Nach einer ebenso ruhigen wie intensiven ersten Hälfte verliert "Leave No Trace" seinen Grundkonflikt mit der Zeit etwas aus den Augen und kann einige altbekannte, mittlerweile gar nervige und manipulierende Klischees nicht mehr unterbinden. Ben Foster und Thomasin McKenzie geben jedoch bis zum Ende brillante Darstellungen.

Note: 3




Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se