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The Voices

Nicht immer geht es gut, wenn man einen offensichtlichen Psychopathen als Hauptprotagonisten eines Films besetzt - nur die wenigsten Werke schaffen es, einem solchen Menschen tatsächlich mit der nötigen Finesse zu begegnen, um daraus auch für die Zuschauer einen Sympathieträger zu machen und nicht durch überzeichnete Charaktereigenschaften und Taten aufzufallen. Das positivste Beispiel dürfte wohl noch immer die Vorzeige-Show "Dexter" sein, die über acht Staffeln hinweg nicht nur mordsspannende Unterhaltung und makaberen Humor bot, sondern auch seinen mordenden Protagonisten glaubwürdig und sympathisch als Menschen darstellen konnte. Das Gegenteil ist nun die morbide Horror-Komödie "The Voices" geworden, die sich innerhalb verschiedener Genres gar nicht entscheiden kann, was sie nun eigentlich wie erzählen will...

THE VOICES


Jerry Hickfang (Ryan Reynolds) wirkt auf den ersten Blick wie ein etwas verschrobener, aber durchaus sympathischer Geselle, der niemandem etwas Böses will. Auf der Arbeit verguckt er sich in seine Kollegin Fiona (Gemma Arterton) und hilft sogar dabei, eine interne Party zu organisieren. Tatsächlich hat Jerry jedoch ein Geheimnis, wegen welchem er sich auch in eine Therapie begeben hat: Er spricht mit seinen Haustieren und lässt sich von denen gerne mal in gewisse Schwierigkeiten ziehen. Wie diese aussehen, erfährt Jerry bald am eigenen Leib, als er nach einem schrecklichen Unfall plötzlich in bösen Schwierigkeiten steckt. Jedoch scheint ihm diese Ausweglosigkeit zu gefallen und er rudert immer weiter in ein schwarzes Loch des abgrundtief Bösen...

Man kann den Machern rund um Regisseurin Marjane Satrapi nicht vorwerfen, dass sie für einen abendfüllenden Film nicht genügend Ideen gehabt hätten. Im Kern ist keine von ihnen wirklich neu, in dieser Kombination hat man sie aber auch noch nicht gesehen und das klingt dann schon wieder vielversprechend: "The Voices" ist zu Teilen eine schwarze Komödie, blutiger Thriller, düstere Charakterstudie und leises Drama. Dass dies zusammenpassen kann, scheint absolut unmöglich zu sein, denn gerade diese Genres müssen sich ja förmlich beißen... und das tun sie in einem recht wirren Endprodukt dann leider auch. 
Zu Beginn weiß man erst mal gar nicht, wohin der Film eigentlich möchte und was er uns erzählen will. Er findet keinen erzählerischen Bogen und erst recht keine stimmige Dramaturgie, scheint sich in der fluffigen Darstellung seiner Hauptfigur zu ergötzen und versucht auf Gedeih und Verderb, durch eine fluchende Katze, die sehr gerne das F-Wort in den Mund nimmt, Lacher zu ernten. Es scheint dem Film schlichtweg auf die Stirn geschrieben zu stehen, dass er doch so schwarzhumorig ist und so gerne über Grenzen geht - das wirkt dann so erzwungen und eben auch unlustig, wie es sich hier lesen dürfte. Dabei ist durchaus sichtbar, dass sich die künstlerisch mehrfach interessierte Regisseurin in allen Genres sicher bewegen kann, wenn sie denn nur die passenden Ideen hat. Als eine Art Kleinstadt-Satire begonnen liegen hier zielsicher ein paar herrliche Klischees und eine kitschige Polonaise von Fabrikmitarbeitern ist hier tatsächlich ein ebenso goldiger wie beinahe peinlicher Höhepunkt. 
Auch hat Satrapi einige wirklich nette Inszenierungsideen vorzuweisen, so zum Beispiel, wenn sie Jerrys Vorstellungen und die Realität nebeneinander stellt - der Zuschauer wird hier nicht sonderlich trickreich, aber zumindest streckenweise wirkungsvoll an der Nase herumgeführt, auch wenn man von Anfang an weiß, dass man dem Braten hier nicht trauen darf. Leider gelingt es Satrapi im weiteren Verlauf nicht, all diese verschiedenen Eindrücke sinnig unter einem Banner zu vereinen. Für eine morbide Komödie fehlt es an zündenden Gags und für einen richtig bösen Horror-Psycho-Film geht man hier doch nicht mehr den letzten Schritt. Für einen Mainstream-Film ist er nicht packend oder groß genug, für einen Indie fehlt ihm die besondere Note und irgendwie auch das Herz. Dieses transportiert "Deadpool"-Star Ryan Reynolds zwar mit einer durchaus eindringlichen Performance, die Hauptfigur bleibt jedoch, da nachlässig und teilweise klischeebehaftet geschrieben, ein viel zu leeres Blatt. 
Am Ende verlässt man sich hier zu oft auf einzelne Ideen, die aber keinen ganzen Film tragen: Fluchende Tiere, sprechende Köpfe und einen gut aufgelegten Hauptdarsteller. So richtig entscheiden, was man hier nun erzählen will und ob, und wenn ja welche Message man dem Zuschauer mit auf den Weg geben möchte, konnte man sich aber definitiv nicht. Und deswegen ist irgendwie alles drin, was schließlich weniger als die Summe seiner Teile ist. Also für keinen der Beteiligten wirkliches Gold: Aus der Grundidee hätte man mit mehr Hirn, Tiefe und Wagnis und weniger plumpem Gaga-Humor definitiv mehr rausholen können.

Fazit: Ryan Reynolds schlawinert sich durch einen bemerkenswert unentschlossenen Film, der sowohl Provinz-Satire, Psycho-Thriller und Charakterdrama sein möchte und nichts davon passend unter einem Mantel vereinen kann. Es gibt einige tolle Ideen, insgesamt fehlt es dem Werk jedoch an Witz, Herz und besonders an Köpfchen.

Note: 4+




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