Oft schon habe ich mich auf diesem Blog über diverse Schnittgewitter beklagt, die besonders in heutigen Actionfilmen auftreten. Dabei schneidet man einfach so schnell, dass man letztendlich im Grunde gar nichts mehr erkennt, um Tempo vorzuspielen - oftmals ist es jedoch simple Faulheit, da man sich nicht wie in "John Wick" oder "Mad Max" darauf einlassen will, solche Szenen akribisch durchzuproben. Das würde am Ende zwar besser aussehen, aber eben auch mehr Geld und Zeit kosten. Dass diese Schnittproblematik, wie ich sie so oft anspreche, aber auch mal richtig gut sein kann, wenn es erstens zum Film und dessen Atmosphäre passt und zweitens könnende Profis an Kamera und am Computer sitzen, wurde auch bereits bewiesen. Einer dieser lebendigen Beweise ist der brasilianische Gangster-Thriller "City of God", der noch heute für seine intensive Inszenierung gelobt wird...
CITY OF GOD
Buscape (Alexandre Rodrigues) lebt in einem Armenviertel in Rios. Die Drogen und das illegale Geschäft mit ihnen sind dort die Macht - wer den Handel überwacht, besitzt die Stadt, die auch die Stadt Gottes genannt wird. Buscape wird in diesen Sumpf aus Mord, Sex und Drogen schon in frühen Jahren hineingezogen und macht so auch die Bekanntschaft mit dem späteren Gangsterboss Locke (Leandro Firmino da Hora). Außerdem erlebt er seine erste Liebe, muss sich mit den Plagen und Ängsten eines jungen Heranwachsenden auseinandersetzen und sein Leben leben... trotz all der Gewalt und der Grausamkeiten, die tagtäglich um ihn herum geschehen.
Kaum jemand, der sich intensiver mit der neueren Kinogeschichte befasst hat, ist irgendwie an "City of God" vorbeigekommen. Noch heute redet fast jeder über das vierfach oscarnominierte Werk von "Die Stadt der Blinden"-Regisseur Fernando Meirelles und wer den Film nicht gesehen oder ihn gar für nicht gut befunden hat, der musste sich mit einer ganzen Welle aus Unverständnis auseinandersetzen. Ich habe den Film nun zum ersten Mal gesehen, sah zuvor aber immer wieder Ausschnitte. Meine Erwartungen waren turmhoch und ich erwartete nicht weniger als ein Meisterwerk des Genres... angesichts solch einer Erwartungshaltung hat mich das Endprodukt ein wenig enttäuscht, wobei ich dennoch einen sehr starken Film gesehen habe.
Die Geschichte, wie Regisseur Meirelles ihn entstehen ließ und wie viel Wahrheit dahintersteckt, ist aber fast noch aufregender als der Film selbst: "City of God" beruht auf wahren Geschichten und beinahe alle Darsteller, inklusive Hauptdarsteller Alexandre Rodrigues, waren Laien, die in und um den Slums und der titelgebenden Stadt wohnen oder gewohnt haben. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Atmosphäre, sehen wir hier doch keinen professionellen Kinostars bei der Arbeit zu, sondern echten Menschen in ihrer zumeist heimatlichen Umgebung, die sich wie selbstverständlich darin bewegen.
Ähnlich lässt Meirelles auch seinen oscarnominierten Kameramann Cesar Charlone agieren - die Kamera wirkt beinahe selbst wie ein Körper in diesem Sog aus Menschen und Tieren, buttert sich unter das Geschehen, fliegt wie selbstverständlich mit, ist immer mittendrin und ganz nah dran am oft brutalen Leben in den Mauern und auf den Straßen. Manch einen mag der wilde Schnitt und die Wackelkamera verwirren und es empfiehlt sich auch, nicht zu nah vor dem Fernseher zu sitzen, sondern einen gewissen Abstand einzuhalten. Gerade dieses schier elektrisierende Gewackel macht im Kontext des Films aber Sinn: Das Leben auf den Straßen von Rios verläuft rasant, nur Sekundenbruchteile können zwischen dem Leben und einer tödlichen Kugel vergehen. Es herrscht Hektik, ständige Angst und die Kamera fängt genau dieses in realistischen, beinahe dokumentarisch anmutenden Bildern ein. Gegen unsere Sehgewohnheiten verstößt diese Inszenierung, dennoch löst sie einen gewissen Sog aus, dem man sich nur schwer entziehen kann und die das Bild eines schier lebendigen Ortes beinahe perfekt machen.
In Sachen Handlung sieht das etwas anders aus: Meirelles gelingt ein spannender und tiefschürfender Film, der aber innerhalb seines Genres auch über diverse Fallstricke stolpert. Man kann "City of God" nämlich durchaus vorwerfen, dass er einige Figuren und Handlungsepisoden zu viel in seine zum Bersten vollgestopften zwei Stunden integriert hat. Nicht alle roten Fäden laufen zum Schluss zufriedenstellend zusammen und im Mittelteil droht der Film aufgrund seines Übergewichts gar ein wenig zu zerfasern. Beziehungen, Freundschaften, Konkurrenz, alles verschiebt sich in Sekunden. Auch das ist lebensnah, aus dramaturgischer Sicht aber manchmal auch etwas überfordernd.
Fazit: Inszenatorisch ist "City of God" ein ebenso realistischer wie lebensecht gefilmter Rausch, mit schier enormem Tempo und einer schneidenden Atmosphäre. Auf reiner Handlungsebene ist der Film hochspannend, leidet aber auch an einer gewissen Überfüllung durch zu viele Charaktere und Plotstränge.
Note: 2-
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