Noch vor zwei Tagen habe ich zum wiederholten Mal das Psycho-Drama "Black Swan" gesehen, der bis dato zu meinen Lieblingsfilmen zählt. Gerade im Hinblick auf den milliardenschweren "Joker", der seit Oktober so ungemein erfolgreich in den Kinos läuft, führe ich diesen Film gerne als perfektes Beispiel voran, wie man cineastisch glaubwürdig und packend erzählt, wie eine Person nach und nach ihren Verstand verlieren kann. "Joker" war mir in dieser Hinsicht zu klischeebelastet, zu aggressiv... und auch ein weiterer Film zeigt nun, wie man es besser nicht machen sollte. Das Netflix-Original "Wo die Erde bebt" ist seit rund einer Woche bei dem Streamingportal abrufbar und verwurschtelt sich in einem seltsamen Mix aus Psycho-Thriller, Drama und Krimi...
WO DIE ERDE BEBT
Um ihrem alten Leben zu entfliehen, hat sich die junge Lucy Fly (Alicia Vikander) vor fünf Jahren nach Japan aufgemacht... und nun wird sie von der dortigen Polizei im Jahr 1989 des Mordes an ihrer Freundin Lily Bridges (Riley Keough) beschuldigt. Diese ist nämlich verschwunden und eine aufgefundene Leiche in einem nahen Fluss scheint nun Aufklärung über ihr Verbleiben zu geben. Lucy beteuert, mit ihrem Verschwinden nichts zu tun zu haben und erzählt den Polizisten, wie ihre Beziehung zustande kam. Damals lernte Lucy den charmanten Fotografen und Koch Teiji (Naoki Kobayashi) kennen und kam ihm näher. Als schließlich auch Lily zu dem Trio stieß, sollte sich jedoch alles ändern und Lucy in einen Strudel aus Verleugnung, Ignoranz und Täuschung hineingezogen werden...
Regisseur Wash Westmoreland, der erst letztes Jahr das erstaunlich runde Kostümdrama "Colette" mit Keira Knightley in der Hauptrolle ablieferte, hat nach eigener Aussage selbst viel Zeit in Japan verbracht und dass er sich zumindest mit den örtlichen und zeitlichen Eigenarten auskennt, das glaubt man ihm hier sofort. Optisch ist ihm hier ein runder und durchaus ansehnlicher Trip ans andere Ende der Welt gelungen, wobei er sich von den totgenudelten Postkarten-Motiven abwendet und seinen Blick dahin schweifen lässt, wo Hollywood bislang kaum gegraben hat. Dank der detailreichen Ausstattung, eines tragenden Scores und generell unaufdringlicher und dennoch ungemein passender Arbeit von Hairstylisten und Kostümbildnern gelingt hier ein stimmiges Bild vom Japan Ende der 80er.
In Sachen Storytelling muss "Wo die Erde bebt" (der Titel bezieht sich ebenfalls auf das ständig von Erdbeben heimgesuchte Japan) aber dann deutlich zurückstecken, denn obwohl der Film auf einem allseits beliebten Roman fußt, ist von einer spannenden handlung hier noch sehr wenig übriggeblieben. Die oft erotisch aufgeladene Beziehung zwischen Lucy und Teiji bleibt oft nur eine reine Behauptung und obwohl sowohl Naoki Kobayashi als auch "The Danish Girl"-Star Alicia Vikander hier durchweg überzeugende Darstellungen abliefern, wollen die Funken zwischen beiden einfach nicht sprühen. Das könnte auch daran liegen, dass die Autoren beiden Figuren seltsame und oft durchgekaute Klischees in die Wiege legen, gegen die beide zwar mutig anspielen, darunter aber auch nicht mehr viel Leben erwecken können.
Der Plot müht sich redlich, gerade unter den immer wieder Dramen durchlaufenden Beziehungen der Hauptcharaktere Überraschungen zu erschaffen, leider weiß man als erfahrener und aufmerksamer Zuschauer aber schon sehr früh, wo der Hase nun lang laufen wird. Eben solcherlei Wendungen wirken im ansonsten ziemlich müden Konstrukt des Films dann nicht nur arg bemüht, sondern gerade gegen Ende und während der laschen Konklusio ziemlich schwachsinnig. "Wo die Erde bebt" schafft es nicht, dabei glaubwürdig die Psychosen seiner Figuren zu erklären, in die kaputten Seelen seiner Charaktere zu reisen, bleibt oberflächlich und in den schlechtesten Momenten gar wirr und unfokussiert. Hier entsteht der Eindruck, dass der Film viel größer sein will, als er eigentlich ist und sich Netflix mit einem solch komplexen Thema ganz eindeutig übernommen hat.
Bezeichnend ist auch, dass selbst "American Honey"-Star Riley Keough hier nicht herausstechen kann, dabei wäre gerade ihre Lily hier eine deutliche Chance gewesen, aus dem etwas müden Trott herauszutreten und ein wenig Energie einfließen zu lassen. Wie auch an anderen Stellen lässt man das Potenzial allerdings versacken und langweilt so recht früh... und die 105 Minuten fühlen sich dann auch auf dem weiteren Weg ziemlich lang an. Auch hier ist dem großen Streamingportal also wieder kein filmisches Original gelungen, welches die Zuschauer in Verzückung versetzen wird und es scheint so, als müsse man bis zu dem richtigen Meisterwerk noch einige Tage warten, wenn Scorseses "The Irishman" endlich online erscheint. Hoffen wir, dass da dann nicht die nächste Enttäuschung vorprogrammiert ist.
Fazit: Ein müder und arg verkopfter Thriller, der seine Charaktere oberflächlich behandelt und sie in den düsteren Beziehungsdramen klischeehaft und manchmal gar unsinnig agieren lässt. Trotz solider Leistungen aller vor der Kamera Beteiligten und einer hübschen Inszenierung bleibt der Stoff trocken und zahm.
Note: 4
Kommentare
Kommentar veröffentlichen