Auf den ersten Blick wirkt Tony Soprano (James Gandolfini) wie ein ganz gewöhnlicher Geschäftsmann: Er arbeitet viel, genießt aber auch seine Freizeit und hat mit seiner Frau (Edie Falco) sowie den beiden gemeinsamen Kinder Meadow (Jamie-Lynn Sigler) und Anthony Jr. (Robert Iler) eine Vorzeige-Familie, die er sehr liebt. Nach einem stressbedingten Schwächeanfall wird Tony dazu überredet, fortan regelmäßig die Psychologin Dr. Jennifer Melfi (Lorraine Bracco) aufzusuchen. Und diese weiß schon vorher, wer dieser Tony Soprano eigentlich wirklich ist: Er ist ein Gangster-Boss innerhalb der Soprano-Familie und gehört somit zur italienischen Mafia. Und in diesem Job schreckt Tony nicht davor zurück, sich die Hände schmutzig zu machen...
Ich bin nie der allergrößte Fan von Mafia-Filmen gewesen. Sicherlich beeindruckten mich solch klassische Werke wie "Der Pate" oder "Casino" besonders in künstlerischer Hinsicht, aber das Thema eines großen Mafia-Epos hat mich selten so richtig interessiert. Vielleicht hat es deswegen auch so lange gedauert, bis ich mich irgendwann an den heiligen Gral der TV-Serien herangewagt habe, denn dieser dreht sich tatsächlich um eine italienische Mafia-Familie, die in Amerika lebt. "Die Sopranos" wird von vielen als eine der besten, wenn nicht gar als die beste TV-Serie aller Zeiten angesehen und behält sich somit wahrscheinlich für immer den Status vor, dass sie solch kultige und den Markt verändernde TV-Highlights wie "Lost" oder "Breaking Bad" erst ermöglichte. Tatsächlich war die Geschichte um Tony Soprano und seine Familie eine der ersten US-Serien, die fernab von Sitcoms und Crime-Shows eine durchgehende Geschichte erzählte... und dann war die auch noch so verdammt gut. Ich hatte also vielleicht einfach zu viel Ehrfurcht und auch ein wenig Angst davor, dass mir "Die Sopranos" allein aufgrund des Themas nicht so gut gefallen würde, wie es eigentlich sein sollte. Aber diese Angst war ungerechtfertigt, denn schon die erste Staffel hat mich nun fast vollends in ihren Bann gezogen.
Dabei ist "Die Sopranos" weniger ein waschechter Mafia-Thriller als viel mehr ein herausragend geschriebenes und gespieltes Familiendrama. Die Mafia-Geschichte bleibt weitestgehend der treibende Hintergrund, während wir ansonsten einen teilweise unangenehmen, teils auch herrlich ironischen Einblick hinter die Türen einer Großstadt-Familie erhalten... und die kämpfen, trotz ihrer Zugehörigkeit zum kriminellen Untergrund, mit ganz ähnlichen Problemen wie wir alle. Da geht es um Liebeskummer, um psychische Probleme, auch mal um einen Stromausfall oder um die langsam senil werdende Mutter, die sich partout nicht in ein Heim für betreutes Wohnen abschieben lassen möchte. Über dreizehn Folgen hinweg hält "Die Sopranos" wahnsinnig elegant den Spagat zwischen einer langsam anlaufenden und später immer dringlicheren Haupt-Geschichte sowie vielen kleinen Story-Strängen, die sich mit den einzelnen Charakteren oder bloß einer für sich stehenden Lebenssituation beschäftigen. Dabei sind die Dialoge zumeist exzellent geschrieben und treffen den Ton bei jeder Figur - mal ein paar stumpfe Einzeiler bei den eher dumpf auflaufenden Schlägertypen der Unterschicht, mal wieder ganz genau sezierend und ins Herz treffend zwischen den Hauptfiguren. Dabei begehen die Drehbücher nicht den Fehler, die Mörder und Verbrecher auf Gedeih und Verderb sympathisch zu machen, denn obwohl sie allesamt ihren eigenen Charme haben, konfrontiert man uns auch mit ihren Taten und machen den Zuschauer somit zwangsläufig zu Verbündeten.
Natürlich sind dabei nicht alle Episoden von gleichbleibender Qualität - gerade im Mittelteil hat man das Gefühl, dass die Geschichte im Grunde gar nicht vorankommt und etwas mehr Fokus wäre hin und wieder schön gewesen. Das tut dem großartigen und gerade gegen Ende hochspannenden Vergnügen aber kaum einen Abbruch, denn auch in den langsameren Folgen ist die Inszenierung so clever, sind die Dialoge so treffsicher und die Figuren so interessant, dass wir dem ganzen Spektakel mehr als gerne zusehen. James Gandolfini liefert dabei in der Hauptrolle eine schlichtweg meisterhafte Leistung, wobei ihm die zahlreichen Nebendarsteller*innen perfekt die Bälle zuspielen. Jeder von ihnen hat Substanz, sie alle bleiben in Erinnerung. Das zeigt sich in besonderem Fall noch einmal in den finalen Episoden, wenn zahlreiche vorherige Handlungsstränge und Figuren in einem bärenstarken Staffelshowdown münden - hier wird klar, dass die Autoren ihre Geschichte wahnsinnig gut im Griff haben und genau wissen, was sie wann und wie erzählen müssen. Die Inszenierung mag auch aufgrund des Alters der ersten Staffel bisweilen etwas altbacken wirken, doch das Herz und das Hirn der Geschichte ist heute noch immer so beeindruckend wie damals... und liefert uns somit trotz kleinerer Schwächen eine ganz starke Serie, mit der ich auch zukünftig hoffentlich noch viel morbide Freude haben werde.
Fazit: Die erste Staffel von "Die Sopranos" ist ein clever geschriebenes, vorzüglich gespieltes und zwischen Hochspannung, morbidem Humor und sensiblem Drama tänzelndes Mafia-Epos, dessen intensive Geschichte auch heute noch überzeugt, auch wenn die Inszenierung aus heutiger Sicht ein wenig altbacken wirken kann.
Note: 2
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