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Ich bin Sam

Der geistig zurückgebliebene Sam Dawson (Sean Penn), dessen Geisteszustand in etwa auf dem eines Siebenjährigen ist, kümmert sich weitestgehend alleine um seine sechsjährige Tochter Lucy (Dakota Fanning). Als die Behörden Wind von der zweiköpfigen Familie bekommen, möchten sie prüfen, ob Sam überhaupt dazu fähig ist, Lucy richtig zu erziehen... und sie kommen zu dem Ergebnis, dass er dies nicht sei. Um zu verhindern, dass man ihm Lucy wegnimmt und sie bei einer Pflegefamilie aufwachsen zu lassen, wendet sich Sam mit seinem wenigen Geld an die erfolgreiche Familienanwältin Rita Harrison (Michelle Pfeiffer). Diese sträubt sich jedoch erst, da sie in dem Fall keine großen Siegeschancen sieht und zudem damit fremdelt, weit unter ihrer normalen Gehaltsklasse zu arbeiten...

Eine Geschichte wie diese wäre in unserer richtigen Welt wahnsinnig komplex. Wie ich es zuvor befürchtet habe, wird das im Hollywood des Jahres 2001 deutlich versimpelt - mit allerlei Drama-Klischees wird der Zuschauer förmlich dazu gezwungen, sich voll und ganz auf Sams Seite zu stellen. Und das ist im Grunde keine schlechte Seite, denn natürlich liebt Sam seine kleine Tochter abgöttisch und würde Himmel und Berge versetzen, um sie vor Leid zu bewahren - und auch die kleine Lucy macht keinen Hehl daraus, dass sie bei niemand anderem als ihrem leiblichen Vater leben will. Die Bösen sind hier also die Behörden, die sich durchaus Sorgen um die kleine Lucy machen und besonders in naher Zukunft enorme Probleme auf die Familie zukommen sehen. Das ist, wenn man es mal aus einem realistischen Stand betrachtet, durchaus nachvollziehbar, doch gibt sich das Drehbuch daraufhin genug Mühe, um sowohl den unsensiblen Anwalt der Gegenseite als auch die weitestgehend kühl auftretenden Menschen der Behörde als finstere Gesellen auftreten zu lassen, die Lucy förmlich aus Sams Armen reißen wollen.
So einfach ist das Ganze in Wirklichkeit natürlich nicht, doch "Ich bin Sam" erzählt es so simpel - da wird mit Glückskeks-Weisheiten um sich geworfen und auf dem Höhepunkt wirft man noch eine Anwältin in den Ring, die (ebenfalls ganz nach dem Klischee) ziemlich verbissen und egomanisch agiert, bis sie durch ihre gemeinsame Zeit mit Sam so richtig geläutert wird. Es ist nicht so, dass das nicht im Kern eine sehr schöne und teilweise auch herzerwärmende Geschichte wäre, sie ist nur eben auch ziemlich manipulativ und hat nichts mehr mit der Wahrheit zu tun. "Ich bin Sam" macht es sich bei einem solch wahnsinnig komplexen Thema, welches nicht einfach mit Worten wie "Sie ist aber meine Tochter!" abgehakt werden kann, viel zu einfach. Die etlichen Grauzonen werden zugunsten des Wohlfühl-Kinos ausgespart - wichtiger ist, dass am Ende jeder seine Lektion gelernt hat. Wie gesagt, es ist ein schönes Märchen, aber eben auch ein Märchen und als solches hat es keine zweite Ebene, sondern wirkt schlichtweg sehr naiv.
Schwierig zu bewerten ist auch die Leistung des Hauptdarstellers, denn mit solch einer Rolle kann man im Medium Film entweder nur mit Pauken und Trompeten scheitern (wie Cuba Gooding Jr. in "Sie nennen ihn Radio") oder absolut begeistern (wie Tom Hanks in "Forrest Gump"). Trotz der Liebe der Oscar-Jury, die Sean Penn gar mit einer Nominierung für den begehrten Goldjungen bedachte, ist Penn in seiner alles überstrahlenden Performance näher am Scheitern als am Begeistern. Dass er sich dabei durchgehend müht, ist unübersehbar, doch wirklich glaubwürdig wirkt seine Performance nie... und das ist bei solch einer waghalsigen Rolle eigentlich ein echtes Todesurteil. Penn will zu viel, er will auffallen und das passt so gar nicht. Im Gegensatz zu Hanks verschwindet er nicht vollständig hinter seiner Rolle, sondern wird hier immer noch als Schauspieler gesehen und das wirkt in den schlimmsten Momenten manchmal gar etwas lächerlich oder wie eine schmerzhafte Parodie. Die wirklich großen Leistungen bringen letztendlich nicht Penn und auch nicht Michelle Pfeiffer, die in ihrem Drängen, ein wenig Humor einzubringen, vom Drehbuch legendär ausgebremst wird. Es ist zum einen "I Care A Lot"-Star Dianne Wiest, die eine eindringliche, leise Darstellung der mit Menschen fremdelnden Nachbarin darbringt. Und es ist die damalige Newcomerin Dakota Fanning, die mit ihrer umwerfenden, erwachsenen und schlichtweg faszinierenden Performance als der Kinderstar ihrer Zeit galt, was sie in den nächsten Jahren mit beeindruckenden Leistungen in "Mann unter Feuer" oder Steven Spielbergs "Krieg der Welten" noch deutlich unterstreichen konnte.

Fazit: Bei "Ich bin Sam" hapert es an vielem - an der komplexen Thematik, die vom Drehbuch auf ein simples Tränendrücker-Drama zurechtgestutzt wird und auch am Hauptdarsteller, der hier möglichst laut, aber immer weniger glaubwürdig agiert. Es gibt sicherlich einige schöne Momente in einer im Kern herzlichen Geschichte und Dakota Fanning ist unglaublich. Insgesamt ist der Film aber viel zu naiv, alsdass man ihn wirklich ernstnehmen könnte.

Note: 4+


 

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