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Lucky (2017)

Im Jahr 2017 starb Harry Dean Stanton im hohen Alter von 91 Jahren. Harry wer? Das wird sich hier sicherlich manch einer fragen, doch kennen werden sein Gesicht die meisten - er spielte fast durchgehend Nebenrollen, dabei auch in heute so klassischen Werken wie "The Green Mile" und "Alien"... sogar im ersten "Avengers"-Film hatte er einen herrlichen Gastauftritt. Stanton blieb quasi bis zu seinem Tod als Schauspieler aktiv und seine Abschiedsvorstellung erschien somit auch erst nach seinem Dahinscheiden, zumindest hier in Deutschland. Und es ist ein würdiger Abschied des ewigen Supporting Actors, der hier tatsächlich die Hauptrolle übernimmt... und sich mit seiner eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen muss.

LUCKY


Ganz nah dran an der Wüste, im Süden der USA, lebt Lucky (Harry Dean Stanton): Neunzig Jahre alt, Kettenraucher, strenger Atheist... und mittlerweile ganz offensichtlich im letzten Kapitel seines langen Lebens angekommen. Seine verbleibende Zeit verbringt er mit dem Lösen von Kreuzworträtseln, Gymnastik, dem Herumlungern in Cafes und Kneipen, wobei er auch von seinen Mitmenschen respektiert wird. Doch als ein gesundheitlicher Vorfall Lucky zum ersten Mal vehement mit seinem womöglich bereits nahenden Ableben konfrontiert, ändert dies seine Sichtweise und auch seine Lebensumstände... dies gar soweit, dass auch die Menschen um ihn herum einbezogen werden.

Es ist schon passend, was Harry Dean Stantons Abschiedsvorstellung angeht: Es war nicht sein letzter Film (später erschien noch "Frank and Ava" und er wirkte in fünf Episoden der "Twin Peaks"-Neuausrichtung mit), aber es ist ganz offensichtlich sein eigenes Goodbye. Ein Film, der beinahe voll und ganz auf seinen Hauptdarsteller zugeschnitten ist und dabei entschleunigt, unaufgeregt und klein agiert. Regisseur John Carroll Lynch, der mit diesem Film sein Regiedebüt gab, interessiert sich dabei für viele Dinge, wobei er sich den generellen Konventionen einer bekannten, filmischen Dramaturgie jedoch durchweg verschließt. Viele Mainstream-Zuschauer werden "Lucky" daher irgendwie als nichtssagend, als langweilig abtun... und auch mich hat der Film nicht gepackt, wobei ich jedoch nicht einmal ansatzweise zum Zielpublikum gehören durfte. 
Ich mochte einige Details, so der zu Beginn noch herrlich verschrobene Einblick in Luckys Alltag und die langsame Vorstellung einer Hauptfigur, die ziemlich einzigartig zwischen Sympathie und ätzendem Egoismus tänzelt. Im weiteren Verlauf wird "Lucky" etwas weicher, vermeidet es jedoch immer, irgendwie in altbekannte oder innerhalb seines Dramabereichs kitschige Manirismen abzurutschen - hier bleiben sowohl Lynch als auch Stanton ihrem eigenen Tonus treu. Und der wird nicht jedem gefallen, dafür aber umso mehr denen, die sich mit Lucky bereits nach zwei Minuten verbunden fühlen. Und wem der Film eben zu dröge ist, wer die gerade gegen Ende doch etwas harsche Message so nicht ganz mitnehmen will und wem hier an der Oberfläche zu wenig passiert, der darf sich zumindest an einer von Stantons letzten und sicherlich auch besten Performances erfreuen. 
Er agierte nur sehr selten als Hauptdarsteller, war als Supporting Actor sowieso immer eine sichere Bank. Dass er einen Film jedoch auch im hohen Alter noch tragen konnte und seine Präsenz förmlich dazu einlädt, seinen Blick kaum von diesem eingefallenen und dennoch unglaublich lebendigen Gesicht abzuwenden, das lässt sich in jeder einzelnen Minute erblicken. Eine fähige Inszenierung des Regisseurs und aufgeweckte Nebenfiguren, die Stanton jedoch eher die Bälle zuspielen und zu wenig eigenen Raum erhalten und im Grunde ist da nichts, was stört. Dennoch ein Film, der so herzlich und zugleich unaufgeregt ist, das zumindest bei mir wenig hängen geblieben ist... vielleicht bin ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren aber auch einfach noch zu jung, um mich in all diese Themen und in die Gesellschaft einer verschrobenen Wüstenstadt, die nicht einmal annährend irgendetwas mit dem, was mich interessiert, zu tun hat, hineinzufinden. Weswegen ich glaube, dass jeder "Lucky" eine Chance geben sollte, da jeder zumindest von irgendeiner Seite noch etwas von diesem alten Kauz lernen kann. Es muss ja nicht immer gleich die pure Aufregung sein - manchmal ist Schauspielerkino, abseits grandioser Dramaturgie, auch etwas schönes.

Fazit: "Lucky" ist in erster Linie die Abschiedsvorstellung des verstorbenen Harry Dean Stanton, der hier kurz vor seinem Tod noch einmal zeigt, wieso er in Hollywood mehr als fehlen wird. Ob einem der gesamte Film gefällt, hängt davon ab, wie sehr man die entschleunigte Dramaturgie und die manchmal etwas weich gezeichneten Charaktere einordnen und bewerten will.

Note: 3-




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