Rund zwei Monate nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 wird Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) in seiner Heimat festgenommen und in Guantanamo eingesperrt. Eine formelle Anklage wird nicht vorgebracht, allerdings wird ihm vorgeworfen, als einer der wichtigsten Drahtzieher bei den Terroranschlägen geholfen zu haben. Die angesehene Rechtsanwältin Nancy Hollander (Jodie Foster) beschließt sich, Mohamedou als Verteidigerin zur Seite zu springen, da sie eine Verletzung der Verfassung befürchtet - immerhin ist er seit Jahren eingesperrt, ohne dass es jemals einen Prozess gegen ihn gab. Als Ankläger zückt die US-Regierung schließlich Lieutnant Colonel Stuart Couch (Benedict Cumberbatch), dessen bester Freund in einem der Flugzeuge saß, die in die Zwillingstürme flogen - er soll vor Gericht die Todesstrafe gegen Mohamedou durchsetzen.
"Der Mauretanier" ist kein Gerichts-Drama - tatsächlich spielen insgesamt nur zwei Szenen vor Gericht, von denen eine nur sehr kurz ist. Das macht im Grunde gar nichts, denn obwohl ich eine große Schwäche für das Genre habe, sind die grausam-emotionalen Enthüllungen dieses Films spannend genug, alsdass man auf etwas überzeichnete Justiz-Momente gern verzichten kann. Der Film erzählt dabei vor allem die Geschichte eines Mannes, der sich im Justizsystem verliert, indem er diesem nicht vorgeführt wird: Auf gewisse Weise naiv, aber auch mit einer schier unmenschlichen Willenskraft sehen wir in ausführlichen Rückblenden (die darin bestehen, dass Nancy Hollander und ihre Mitarbeiterin Teri die jeweiligen Dokumente lesen), wie Mohamedou einen Kampf gegen die Regierung führt, den er eigentlich nur verlieren kann. Dabei zeichnet "State of Play"-Regisseur Kevin Macdonald nicht nur ein explizites und bemerkenswert tiefschürfendes Bild seines Protagonisten, bleibt aber auch über weite Strecken angenehm undurchsichtig. Er zwingt das Publikum lange nicht dazu, eine Seite einzunehmen, sondern eine gewisse Skepsis zu bewahren. Wer sich mit den wahren Hintergründen nicht auskennt, wird lange zweifeln, ob Mohamedou tatsächlich so unschuldig ist wie er es beteuert.
Dabei liefert "Maria Magdalena"-Star Tahar Rahim eine schlichtweg beeindruckende Leistung, die weit über eine gute Performance eines guten Schauspielers hinausgeht. Vollkommen uneitel, physisch absolut vernichtend und mit einer enormen Ausdruckskraft macht er die Dringlichkeit der Misere so deutlich, wie man es sich kaum vorzustellen vermag. Hinzu spielt ihm auch die dreckige Inszenierung, die trotz einer erstaunlich niedrigen FSK-Freigabe ab zwölf Jahren deutlich die grausamen Foltermethoden aufzeigt, die in Guantanamo durchgeführt wurden. Dank eines Drehbuchs, welches sich lange nicht dazu herablässt, die Figuren in Schwarz oder Weiß zu zeichnen und auch diverse Konflikte aufnimmt (wie kann man einen mutmaßlichen Terroristen vor Gericht verteidigen und was macht das mit den Menschen?), erfüllen diese Szenen niemals einen herrischen Selbstzweck, sind in ihrer Kraft und Grausamkeit aber dennoch absolut niederschmetternd. Ohne zu viel Pathos, immer wieder mit Wendungen, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen, macht "Der Mauretanier" diese ebenso unfassbare wie traurige Geschichte greifbar.
Die anderen Figuren müssen dabei indes zurückstecken - so erfahren wir über die beiden engagierten Anwältinnen im Grunde gar nichts weiter und sogar ein Konflikt zwischen den beiden Frauen wird letztlich ziemlich mau hinweggewischt. Das ist im Grunde halb so wild, da vor allem "Inside Man"-Star Jodie Foster eine wahnsinnig überzeugende Darstellung aufs Parkett legt, die sie mit wunderbaren Subtexten anreichert - obwohl uns das Drehbuch fast nichts über ihre Nancy Hollander erzählt, haben wir durch Fosters Performance das Gefühl, dass wir diese Frau sehr gut kennenlernen. Etwas eindeutiger, aber storybedingt auch simpler skizziert ist die Rolle von Benedict Cumberbatch, der als eine Art Gegenpol auftritt, letztendlich aber auch erkennen muss, dass er womöglich einige Fehler macht, die einem Mann das Leben nehmen könnten. Das ist in diesem Genre keine zwingend dankbare Rolle, doch gereicht sie Cumberbatch dennoch zu einer Routine-Leistung. Trotz 129 Minuten Laufzeit und eines kompakten Figurenensembles verliert "Der Mauretanier" dank solcherlei geraden Linien aber auch nie den Fokus und ist trotz oder auch gerade aufgrund seines teilweise enorm niedrigen Tempos eine atmosphärische Wucht: Erschreckend ehrlich, unangenehm und aufrüttelnd.
Fazit: Die schmörkellose, teils sehr wuchtige Inszenierung, die brillante darstellerische Leistung von Tahar Rahim sowie die aufrüttelnde, wahre Geschichte machen "Der Mauretanier" durchweg packend. Kleinere Schönheitsfehler wie manch eine winzige Länge oder die eher schwach gezeichneten weiteren Figuren fallen wenig auf.
Note: 2-
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