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The Unforgivable

Ruth Slater (Sandra Bullock) saß zwanzig Jahre wegen des Mordes an einem Sheriff im Gefängnis, nun kommt sie wieder auf freien Fuß. Während ihrer Jobsuche und dem langsamen Eingliedern zurück in die Gesellschaft wird sie von Polizisten bedroht, die Rache für den damaligen Mord ankündigen. Ruth hingegen verfolgt, von den Drohungen weitestgehend unbeeindruckt, nur ein Ziel: Sie will ihre kleine Schwester Katie (Aisling Franciosi), um die sie sich damals kümmerte, wiederfinden. Katie wurde jedoch von einer herzlichen Familie adoptiert und hat keinerlei Erinnerung mehr an ihre Schwester. Um das Problem zu lösen, ohne dabei das geltende Recht zu verletzen, sucht Ruth den Anwalt John Ingram (Vincent D'Onofrio) auf, dessen Frau Liz (Viola Davis) jedoch Schwierigkeiten hat, Ruths Rehibilitation zu akzeptieren...

Nach dem Hollywood-Durchbruch der grandiosen Helena Zengel folgt nun mit "Systemsprenger"-Regisseurin Nora Fingscheidt der nächste Versuch, in den Vereinigten Staaten Fuß zu fassen. Fingscheidt hat dabei die brillanten Qualitäten ihres deutschen Meisterwerks auch auf ein großbudgetiertes Hollywood-Projekt vereinen können und erzählt dabei weitestgehend wertungslos, dabei jedoch treffsicher und streckenweise hochemotional die Geschichte einer Frau, die nach einer grauenvollen Tat zurück in die Gesellschaft finden will. Die Themen, die Fingscheidt in "The Unforgivable" anspricht, sind ebenso groß wie unbequem: Es geht darum, ob man in einer von Rachegedanken schier zerfressenen Gesellschaft noch Vergebung erfahren kann, obwohl der Staat die Resozialisierung vor Vergeltung stellt. Es geht um die Familie, um Schuld und Sühne, um einen endlosen Kampf gegen die, die alles besser wissen und nachempfinden wollen. Aber auch darum, wie man mit der eigenen Schuld umgeht. Nicht immer findet der Film dabei den richtigen Ton, einige Konflikte werden zu rasch abgehandelt, was vor allem für den Handlungsstrang um Ruths Arbeitskollegen Blake, gespielt von "Le Mans 66"-Star Jon Bernthal, als auch für die Ansichten von Liz Ingram geht.
In vielen Momenten und ganzen Szenen findet Fingscheidt aber immer wieder genau den richtigen Ton und nähert sich vor allem ihrer Protagonistin auf menschliche und nachvollziehbare Art und Weise an. Sie macht aus Ruth Slater keine Heldin - ihre vergangenen Taten und auch die, die sie nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis begeht, beschönigt sie nicht, zeigt sie klar und ohne Weglassungen. Das macht aus Ruth einen angenehm ambivalenten Charakter: Eigentlich hat sie die Sympathien der Zuschauer trotz ihrer vergangenen Tat auf ihrer Seite, denn ihre Ziele sind nobel. Immer wieder verhält sie sich jedoch auch schroff, abweisend und unterkühlt, begeht Fehler und lernt aus diesen auch nicht, überschreitet Grenzen. Das macht Ruth menschlich, nicht durchweg sympathisch und zu einer absolut glaubwürdigen Person, die von einer großartigen Sandra Bullock mit enormer Kraft verkörpert wird - man nimmt ihr diese Rolle von der ersten Sekunde an ab. Der Rest des Casts hat im direkten Gegensatz weniger zu tun: So werden Vincent D'Onofrio und "Fences"-Star Viola Davis zu Beginn noch aufwendig eingeführt, um im weiteren Verlauf dann nur noch sehr wenig zu tun zu bekommen. Jon Bernthal sticht in seiner Nebenrolle, inklusive einiger emotionaler Tiefschläge, noch ein wenig heraus, leidet aber unter dem Drehbuch, welches ihm später nicht mehr genügend Raum gibt.
Und richtiggehend ärgerlich wird es zum Finale auch noch, wenn sich "The Unforgivable" vom tiefschürfenden, unbequemen Gesellschafts-Drama zu einem ziemlich mauen und erstaunlich übermoralischen Krimi-Thriller mausert. Das passt tonal so gar nicht zum so ruhig erzählten Rest und macht eher den Eindruck einer plötzlichen Spannungsspitze, die es nicht gebraucht hätte und die die zuvor angeraunte Atmosphäre durch ihre kalten Messages sogar ein wenig torpediert. Auch hier ist das Drehbuch zu ungenau und schneidet wichtige Nebenplots von essentiellen Nebenfiguren nur noch marginal an, was zu einem überdeutlichen, wenig versöhnlichen Ende führt. Das macht zwar das Gros der zuvor so brillant inszenierten Momente, der immer neuen Tiefschläge gegen die Protagonistin, niemals ungeschehen und deswegen bleibt "The Unforgivable" noch immer sehenswert. Es wäre aber auch deutlich mehr drin gewesen bei solch einer talentierten Regisseurin, die wie kaum eine andere mit dem deutschen Meisterwerk "Systemsprenger" bewiesen hat, dass sie ambivalente Themen anspruchsvoll und ohne moralische Zeigefinger bebildern und erzählen kann. 

Fazit: Ein packendes Drama, welches immer wieder mit den zu oberflächlich abgehandelten Nebenhandlungen kämpft, die Geschichte seiner Protagonistin im Kampf gegen eine hasserfüllte Gesellschaft doppelbödig, interessant und klug erzählt. Nur die finalen Szenen sind in ihrer düsteren Einfachheit enorm enttäuschend.

Note: 3





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