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Unsere Hauptstadt zerfasert: Filmkritik zu "Berlin, i love you"

Der arbeitslose Jared (Jim Sturgess) kämpft mit suizidialen Gedanken und wird von einem Computer wieder auf den richtigen Weg geführt. Die Flüchtlingshelferin Jane (Keira Knightley) kämpft um den weiteren Verbleib eines Kindes und bringt dabei ihre besorgte Mutter Margaret (Helen Mirren) gegen sich auf. Und die resolute Leiterin eines Waschsalons (Veronica Ferres) legt sich mit einem Casting-Agenten (Jake Weber) an, der gerade mehrere Anzeigen wegen sexueller Belästigung am Leib hat. All diese kleinen Geschichten tragen sich in der deutschen Hauptstadt Berlin zu und zeigen dabei das Leben im Herzen von Deutschland... und wie all diese Menschen ihren Platz darin finden oder auch wieder daraus entfliehen möchten.

Neun verschiedene und voneinander unabhängige Geschichten bilden den Fokus dieses Episodenfilms, der sich dabei zur Aufgabe gemacht hat, die populäre und beliebte Hauptstadt Deutschlands in einem internationalen Film prestigeträchtig abzubilden. Dazu wurde ein ganzer Haufen verschiedener, deutscher Filmemacher*innen angeheuert, darunter "Die Welle"-Regisseur Dennis Gansel und leider auch (wohl aufgrund seines internationalen, guten Rufs) Til Schweiger. Dessen vollkommen verkitschte Episode, in welcher ein rustikaler Mann sogleich mit einer ekelhaften "Hey, Baby"-Anmache auftritt und zumindest zeitweise Erfolg hat, zeigt erneut, dass es mit Schweigers Gespür für zeitgemäße Frauenfiguren weiterhin weit her ist. Das bleibt allerdings nicht der einzige Ausrutscher in einem erstaunlich klischeehaften Film, der mit aller Kraft versucht, irgendwelche wichtigen Messages zu entsenden, dabei aber nicht über das Format eines billigen Kalenderspruchs hinauskommt.
Eine Episode über vier Frauen, die in einem Waschsalon einen sexistischen Casting-Agenten zur Rede stellen, hätte prinzipiell das Zeug zu einem richtig feinen Kurzfilm gehabt - in "Berlin, i love you" bleibt davon in aller Plakativität aber nur noch der müde Versuch über, die Me-Too-Konflikte noch wenig überzeugend und sehr bemüht zu integrieren. Andere Geschichten, wie die des suizidalen Arbeitslosen Jared, enden exakt dort, wo sie eigentlich erst richtig in Schwung kommen und fallen zuvor eher durch ihre humorlose Skurrilität auf - wenn sich "Cloud Atlas"-Star Jim Sturgess mit seinem intelligenten Auto unterhält, werden nämlich eher Erinnerungen an Kinderfilme wie "Monster Trucks" wach, aber in einem romantischen Drama wähnt man sich dabei sicherlich nicht. Da gefallen die Episoden, die einfach nur belanglos sind, fast noch am besten - so zum Beispiel die handzahm inszenierte Geschichte rund um Keira Knightley und Helen Mirren, die einen Streit um ein Flüchtlingskind austragen. Da lässt sich prinzipiell wenig dran aussetzen... außer, dass eben auch diese Story völlig mutlos und langatmig inszeniert ist.
Nur eine Geschichte sticht in wenigen Minuten angenehm heraus: Das Aufeinandertreffen eines sechzehnjährigen Jugendlichen und eines von "Milk"-Star Diego Luna gespielten Transvestiten, der sich soeben mit seinem Freund zerstritten hat, besitzt tatsächlich einen echten Charme, den man so sonst im gesamten, restlichen Film schmerzlich vermisst. Über sämtliche Episoden ist zudem das Hauptziel des Werks völlig verloren gegangen: Berlin sollte als schillernde Stadt dargestellt werden, doch fehlte es allen angestellten Filmemacher*innen ganz offensichtlich an einer klaren Vision - der raubeinige Charme der Stadt kommt jedenfalls zu keinem Zeitpunkt durch. Noch dazu wirken alle Episoden in diesem Film merkwürdig aneinandergetackert, sodass von einer Dynamik oder gar einem roten Faden kaum die Rede sein kann. Der Versuch, eine Geschichte rund um zwei Obdachlose immer wieder zwischen den anderen Storys einzufädeln und somit einen Rahmen zu bieten, schlägt dabei ebenso fehl und wirkt vollkommen willkürlich. Trotz einer namhaften Besetzung, die neben Knightley, Mirren und Luna unter anderem auch noch Luke Wilson und die "Game of Thrones"-Stars Sibel Kekilli und Iwan Rheon aufbietet, hat dieser Episodenfilm fast nichts zu bieten - keinen Charme, keinen Schwung und sicherlich kein Gefühl. Das war wohl wirklich nichts.

Fazit: Nicht nur wird die titelgebende Hauptstadt sichtlich uninspiriert abgebildet, auch die einzelnen Geschichten, die übereinander hinweg keine Dynamik entwickeln, bestehen fast ausschließlich aus mau inszenierten, bemühten und oftmals gar unfreiwillig komischen Kalendersprüchen. Das ist nicht nur zäh, sondern bisweilen sogar richtig ärgerlich, wenn es auch mal um ernstere Themen gehen soll.

Note: 5+



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