Wenn ein Film fünf Oscars gewinnt und dabei immerhin vier der fünf Hauptkategorien abdeckt (alle fünf zu gewinnen, gelang bislang nur "Das Schweigen der Lämmer", der für den besten Film, die beste Regie, bester Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin sowie fürs beste Drehbuch ausgezeichnet wurde), dann ist man damit nicht bloß der Gewinner des Abends, sondern schürt auch die Erwartungen der Filmfreunde, die das Werk noch nicht kennen. Mit solch einer enormen Reihe von Auszeichnungen lässt sich natürlich perfekt werben und meine Erwartungshaltung war vor der Erstsichtung von "Zeit der Zärtlichkeit" nicht niedrig. Am Ende war ich dann zwar ein wenig enttäuscht, habe aber dennoch einen guten Film gesehen...
ZEIT DER ZÄRTLICHKEIT
Emma Greenway (Debra Winger) hat es nicht immer einfach gehabt: Ihre Mutter Aurora (Shirley MacLaine) ist überbesorgt, herrisch, oftmals sehr biestig... und das führte bereits zu einigen extremen Konflikten mit ihrer wesentlich pragmatischeren Tochter, die jedoch bereits einige Eigenschaften von ihr geerbt hat. Der neueste Streit entbrennt nun über Emmas Hochzeit mit ihrem geliebten Flap Horton (Jeff Daniels), den Aurora als langweilig und falsche Wahl ansieht. Emma setzt sich über ihre Mutter hinweg und wird schon bald darauf mit dem ersten Kind schwanger, was nur den Anfang aller Probleme darstellt...
Zu Beginn fällt es nicht ganz leicht, einen wirklichen Zugang zu "Zeit der Zärtlichkeit" zu finden, erzählt dieser seine Geschichte, in der immer wieder vor allem der Konflikt zwischen Mutter und Tochter im Vordergrund steht, über einen Zeitraum von insgesamt dreißig Jahren. Eine Orientierung über die verstrichene Zeit erhält man dabei insbesondere über Emmas Kinder - am Alter des Nachwuchses lässt sich meist grob abschätzen, wie viel Zeit oftmals sehr plötzlich vergangen ist. Der Geschichte selbst tut das nicht immer gut, schwelen die Konflikte doch über diese lange Zeit oft, kommen aber nicht immer zum Ausbruch oder werden angesichts der vergehenden Jahre wieder begraben, was ihnen ein wenig die Dringlichkeit raubt. Bezeichnend ist dabei der Auftritt von "Dexter"-Bösewicht John Lithgow, über dessen genaue Rolle man hier besser noch nicht zu viel verraten sollte, dessen dramatischer Unterbau aber kaum funktioniert, da seinem doch eher lauwarmen Plot nicht genug Aufmerksamkeit entgegengebracht wird.
Da gleicht es schon fast einem Wunder, dass Lithgow immerhin für einen Nebendarsteller-Oscar nominiert wurde, den meiner Meinung nach eher ein Jeff Daniels verdient gehabt hätte, dessen Rolle größer ausfällt und auch mehr emotionale Fahrt bietet. Bei den restlichen Darstellern lässt sich aber definitiv nicht streiten: Die prämierte Shirley MacLaine, die ja auch heute noch trotz ihres hohen Alters regelmäßig dreht, glänzt als Mutter mit Herz und Hörnern und bietet über ihren bissigen Kommentaren und dem feurigen Blick auch stets genug Menschlichkeit, um nicht zu einer Karikatur zu verkommen.
Als wohl bester Handlungsstrang dürfte dabei auch ihre langsam beginnende und später immer mehr Raum einnehmende Beziehung zu ihrem Nachbarn, dem ehemaligen Astronauten Garrett Breedlove, zu benennen sein. Jack Nicholson wurde für diese Rolle ebenfalls völlig zurecht mit dem Nebendarsteller-Oscar ausgezeichnet (was den zweiten von drei Oscars für ihn macht, nach seiner Hauptrolle in dem Meisterwerk "Einer flog übers Kuckucksnest") und bietet wohl dosierten Humor und eine erfrischend unerotische Männlichkeit in diesem ansonsten weitestgehend von den Damen beherrschten Treiben. Beinahe noch mehr im dauerhaften Fokus steht Debra Winger als Emma - ihr Leben steht im Mittelpunkt, die restlichen Stränge und Konflikte spielen insbesondere ihrem Plot zu und sie hat dabei auch den größten emotionalen Fall, dient als Sympathiefigur und emotionaler Anker. Wingers Performance ist dabei über jedem Zweifel erhaben, wobei sie nicht MacLaine, aber zumindest ihrem filmischen Ehemann Daniels mehr als einmal die Butter vom Brot nimmt.
Es ist also im weitesten Sinne ein Schauspielerfilm, den wir hier sehen und schauspielerisch gibt es hier dann auch nichts zu bemängeln. Die beinahe üblichen Längen für dieses Genre gibt es besonders in der ersten Hälfte, später nimmt der Film dank geflügelter Dialoge und einer dramatischen Wendung noch mehr an Fahrt auf. Ansonsten funktioniert das Werk oftmals auch über das, was zwischen den Zeilen liegt. Das ist manchmal sehr unangenehm, ziemlich ehrlich und nicht immer sehr flott - man braucht dank der manchmal etwas langatmigen 132 Minuten doch mehr Sitzfleisch und nicht jeder Handlungsstrang kommt später zu einem zufriedenstellenden Schluss, der Abspann setzt schließlich sehr plötzlich ein. Dazwischen hat man aber sehr viel gesehen... vor allem zwei Frauen, die absolut auf der Höhe ihres damaligen Könnens agieren und daher trotz einiger Längen zu fesseln wissen.
Fazit: Schauspielerisch ist "Zeit der Zärtlichkeit" ein absolutes Glanzstück und auch der Mix zwischen sensiblem Drama und leisem Humor ist geglückt. Die teils enormen Zeitsprünge erschweren hingegen den Zugang zu einer schön geschrieben Geschichte, der es aber in den ersten zwei Dritteln immer wieder an Zug fehlt.
Note: 3+
Kommentare
Kommentar veröffentlichen