Als Kathryn Bigelow im Jahr 2010 für ihren umstrittenen Kriegs-Actioner "The Hurt Locker" sowohl den Oscar für die beste Regie als auch für den besten Film gewann, war das gleich in doppelter Hinsicht historisch: Zum einen war es eine herrliche Klatschnachricht, dass sie ihren Ex-Mann James Cameron ausstach, der nur wenige Monate zuvor mit "Avatar" den erfolgreichsten Film aller Zeiten drehte und für diesen in den selben Kategorien nominiert war. Zum anderen, und das ist wesentlich wichtiger, war Bigelow nun die erste Frau, die je den Regieoscar gewann... ein Sieg in mehrfacher Hinsicht. Seitdem drehte Bigelow, plötzlich wesentlich stärker in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, nur zwei Filme, die jedoch beide absolut politischen Brennstoff mitbrachten. 2017 erschien mit "Detroit" ein Film über die Bürgeraufstände in den 60er Jahren... eine Thematik, die unter Bigelows Gesichtspunkten eigentlich die Chance hatte, den Film zu einem Meisterwerk zu machen.
DETROIT
Detroit im Jahr 1967: Die Unruhen sind schier im ganzen Land spürbar und nach einer gewalttätigen Polizeirazzia schlägt die schwarze Bevölkerung gegen die Unterdrückung zurück, zündet Häuser an, plündert, besteht endlich auf die lange überfällige Gleichberechtigung. Polizei und sogar der Heimatschutz reagieren mit noch mehr Gewalt, bis es nach einer wilden Partynacht im Algier Motel zur Eskalation kommt. Nachdem ein Bewohner mit einer Schreckschusspistole auf weiter entfernte postierte Polizisten schoss, wird das Gebäude gestürmt... und der junge Polizist Philip Krauss (Will Poulter) nutzt seine Macht auf grausame Art und Weise aus, um den Täter ausfindig zu machen.
Es ist sicherlich nicht so, dass es Kathryn Bigelow an Aufträgen mangeln würde, dass sie nun acht Jahre nach ihrem großen Oscar-Coup jedoch erst zwei Filme gedreht hat, liegt an ihrem Hang zum Perfektionismus. Ähnlich wie das Thriller-Meisterwerk "Zero Dark Thirty", in welchem Bigelow die Jagd nach Osama Bin Laden freischälte, ging es ihr auch bei "Detroit" um absolute Faktentreue, um historische Akkurarität, um Echtheit und ein Gefühl der Beklemmung. Ein solcher Film dreht sich nun mal nicht innerhalb weniger Wochen und deswegen dauerte es nun mal ein bisschen... erwartungsgemäß fällt das vollendete Werk für das Mainstream-Publikum dann auch zu sperrig aus, wird innerhalb des wesentlich genauer hinschauenden Publikums, gerade aus dem Arthouse-Bereich, sicherlich seine Fürsprecher finden, sofern man sich denn auf die spezielle Inszenierung einlassen mag.
Wie von Bigelow bereits gewohnt inszeniert sie die historischen Ereignisse in einem beinahe dokumentarisch anmutenden Stil, der uns in der ersten halben Stunde mitten ins Gemenge wirft. Zentrale Charaktere sind erst später auszumachen, zuvor schleudert man den Zuschauer mitten hinein in die gewalttätigen Unruhen, was für realistische Bilder und eine unangenehme Atmosphäre sorgt. Zu diesem Zeitpunkt ist es nicht ganz so einfach, einen wirklichen Zugang zu finden, bleibt man aber dran, wird man spätestens zum zweiten Drittel belohnt, wenn sich "Detroit" ohne Vorwarnung in ein elektrisierendes Kammerspiel verwandelt. Die Kamera klebt an den Gesichtern, die erfahren müssen, wie sich die Situation um sie herum plötzlich ihrer Kontrolle entzieht, die Eskalation immer näherrückt.
Schauspielerisch glänzt in diesen Momenten vor allem Will Poulter - der zuvor aus harmloseren Mainstream-Filmen wie "Die Chroniken von Narnia" und "Wir sind die Millers" bekannte Jungschauspieler legt in jede seiner Gesten eine solch bedrohliche, aber dennoch niemals klischeehafte und herzlose Elektrisität, dass man förmlich an seinen Lippen hängt. Dass sein Philip Krauss zwar als klarer Antagonist dient, man ihn aber dennoch nicht wirklich hasst, liegt an dem Drehbuch, dass selbst einer Figur wie seiner noch andere Seiten gibt. Es wird nicht mal klar, ob er tatsächlich ein Rassist ist oder nur seine Macht genießt - ein ungemein interessanter Charakter, der von Poulter herausragend gespielt wird. Weitere große Namen finden sich in ebenso großen oder auch kleinen Rollen, wobei man "Star Wars"-Newcomer John Boyega noch einmal gesondert hervorheben darf, darüber hinaus sind auch noch "Game of Thrones"-Star Hannah Murray, Anthony Mackie und der aus "Lost" bekannte Malcolm David Kelley dabei.
Später verlagert sich der Handlungsort dann tatsächlich wieder weg vom im Zentrum stehenden Motel und folgt weiterhin den historischen Fakten. Diese sind vorgegeben, weswegen "Detroit" natürlich weiterhin kein angenehmes Filmerlebnis bleibt. Man möchte hier keine Kinomagie wachrufen, sondern die harte, erschütternde Realität, die auch heute noch zum aktuellen Brennstoff unserer Weltgeschichte zählt, auf den Bildschirm bannen. Das ist stellenweise, gerade auch wegen der psychischen Gewalt, harter Tobak, hält sein Tempo aber nicht durchgehend aufrecht. Einige Längen lassen sich in den 144 Minuten finden und trotz der Überlänge kommt auch nicht jede Figur ausreichend zu ihrem Recht. Das ist etwas schade, da "Detroit" somit zwischendurch doch immer wieder ein wenig an Schlagkraft einbüßt, sich manchmal etwas zu hastig zwischen den einzelnen Handlungsspitzen teleportiert. In den besten Momenten bleibt Kathryn Bigelows Werk aber dennoch ein ungemütlicher, beinharter Thriller.
Fazit: Atmosphärisch dicht, stellenweise hochspannend, historisch ebenso akkurat wie ungemütlich. "Detroit" weist einige Längen auf und manch eine Figur bleibt auch etwas zu blass, dafür überzeugt der inszenatorisch-dokumentarische Stil und auch die Besetzung rund um Boyega und Poulter.
Note: 3+
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