Martin Scorseses "Hugo Cabret" ist ein perfektes Beispiel dafür, wie ein Trailer einen ganz anderen Film versprechen kann als den, den man am Ende sehen wird. Die Werbung möchte uns das Werk als Familienabenteuer verkaufen, mit zwei Kindern, die ein seltsames Geheimnis lösen müssen... und gar ein Zug entgleist dabei in einem belebten Bahnhof. Das sah interessant aus, doch was Scorsese in Wirklichkeit aus diesem für ihn reichlich untypischen Prestige-Projekt gemacht hat, hat damit zumindest ab einem bestimmten Punkt nur noch sehr wenig zu tun. Tatsächlich ist sein Film nämlich eine wunderschöne Verbeugung vor der Macht des Kinos und deren Künstler - ein Film, der ans Herz geht.
HUGO CABRET
Nach dem Tod seines geliebten Vaters (Jude Law) treibt sich der junge Hugo Cabret (Asa Butterfield) alleine auf dem Pariser Bahnhof Montparnasse herum - dort vertreibt er sich die Zeit mit kleineren Diebstählen, um schließlich eine seltsame Maschine, die ihm sein Vater vermachte, zu reparieren und ihr Geheimnis zu lüften. Dabei wird er von dem Spielwarenhändler Georges (Ben Kingsley) erwischt, der Hugo zur Strafe sein Notizbuch abnimmt. Hugo wendet sich verzweifelt an Georges Nichte Isabelle (Chloe Grace Moretz)... und gemeinsam stürzen sie sich in ein Abenteuer, welches am Ende manch ein menschliches Rätsel aufdecken soll.
Das klang zu Beginn in der Tat noch etwas seltsam: Martin Scorsese, der Regisseur von solch gewalttätigen Dramen und Thrillern wie "Goodfellas" und "The Departed", macht plötzlich einen Kinderfilm nach einer Buchvorlage, mit Kinderdarstellern, Verfolgungsjagden durch einen Bahnhof... und das ganze sogar in 3D? Irgendwie klang das alles nach Kalkül, nach einer reichlich seltsamen Mixtur. Aber die Überraschung war groß: "Hugo Cabret" sammelte fünf Oscars ein, war für sechs weitere nominiert, die Kritiker jauchzten... und am Ende ist genau dieser Film sicherlich einer der persönlichsten und auch wichtigsten Werke in Scorseses beeindruckender Filmografie geworden. Dabei unterläuft er die Erwartungen der Zuschauer, die von dem wesentlich "bunteren" Trailer angelockt wurden, sehr rasch.
Ein Kinderfilm ist dies höchstens dank manch eines kleinen Slapstick-Moments, doch die jüngsten Zuschauer werden sich nicht nur angesichts der sehr ruhig erzählten, menschlichen Geschichte langweilen - "Hugo Cabret" ist trotz seiner visuellen Pracht in beinahe allen Elementen altmodisch und verweigert sich somit den modernen Seh- und Erzählgewohnheiten. Und schließlich verlässt Scorsese dann auch durchaus schnell den Pfad eines herkömmlichen Abenteuers, schlägt den Weg zum Drama und schließlich zur Hommage ein. Eine Verbeugung vor meiner größten Leidenschaft, dem Kino, eine Verbeugung vor den Pionieren und Künstlern, die die Leinwände bevölkerten und dies auch heute noch tun. Eine Verbeugung vor den Träumen und den Menschen, die diese wahrwerden ließen.
Das hätte durchaus in seltsamen Kitsch abrutschen können, Scorseses Arbeit bleibt dabei jedoch so menschlich, so durch und durch ehrlich, dass man auch angesichts manch eines märchenhaften Moments und einiger klischeehaftiger Momente der Zwischenmenschlichkeit nicht anders kann, als durch und durch begeistert sein von dieser wunderbaren, herzlichen und schlichtweg entwaffnenden Erzählung. Und auch optisch weiß der Film zu begeistern: Scorsese nutzt den 3D-Effekt nicht wie viele andere Werke schlichtweg zur Gewinnmaximierung, sondern nutzt ihn zum Erzählen seiner Geschichte, zum Empfinden und Erleben des Schauplatzes. Doch auch in der zweidimensionalen Version funktioniert "Hugo Cabret" dank einer fantastischen Kamera, unaufdringlichen Spezialeffekten und einiger wunderschöner, beinahe zauberhafter Bilder ganz ausgezeichnet.
Das ist dann alles wunderschön, doch lenkt es nicht vom Herz der Geschichte ab, die sich trotz winziger Längen im Mittelteil über so viele wunderbare Schwingungen transferiert, sich neu erfindet und dennoch nicht hetzt, dass hier endlich beide Parteien Hand in Hand gehen. Die Effekte und die Optik unterstützen die Geschichte - dies passiert gerade im heutigen Blockbuster-Kino so selten, dass man Scorsese für diese Entscheidung und auch für den Wagemut angesichts der Auswahl seines Projekts nur gratulieren kann.
Und dann hat er auch noch eine ganze Schar leidenschaftlicher Darsteller für sich gewinnen können: Asa Butterfield und "Let Me In"-Star Chloe Grace Moretz überzeugen als sich langsam annähernde Freunde - die Schau stehlen jedoch erwartungsgemäß ein herausragender Ben Kingsley sowie der für humorvolle, aber auch kleine, tiefe Momente verantwortliche "Alice im Wunderland"-Star Sacha Baron Cohen. Und Filmfans dürfen sich noch über viele bekannte Gesichter in kleinen Rollen freuen, die das Innenleben des Bahnhofs erwecken - eine Freude, all diese bekannten Stars zusammen zu sehen.
Fazit: Ein wunderbarer Film, eine tiefschürfende, herzliche und ehrliche Verbeugung vor dem Kino, nur oberflächlich getarnt als optisch verzauberndes Abenteuer. Besetzt mit brillanten Darstellern, mit ungemein viel Intelligenz und Herz - ein 3D-Abenteuer mit Seele und Verstand. Ganz großes Kino mit nur marginalen Schwächen.
Note: 2+
Kommentare
Kommentar veröffentlichen