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Willkommen in Marwen

Das hat wohl nicht ganz so gut geklappt: "Willkommen in Marwen" wurde Ende 2018 in die Oscar-Saison gesetzt, um sich ins Gedächtnis der Academy zu spielen und sich für einige mögliche Preise in Position zu bringen. Am Ende vom Lied reichte es nicht mal für eine Nominierung und das starbesetzte Drama von "Forrest Gump"-Regisseur Robert Zemeckis hatte auch bei Kritikern keinen gänzlich positiven Stand. Neben der Konkurrenz rund um "Green Book" und "The Favourite" hatte er also das Nachsehen, nun kommt der Film auch in die deutschen Kinos. Und der Trailer war einfach zu gut, alsdass ich dieses Werk irgendwie hätte ignorieren können. Mit hohen Erwartungen nahm ich im Kinosaal Platz und freute mich auf einen Steve Carell auf der Höhe seines Könnens und eine hoffentlich bewegende Geschichte...

WILLKOMMEN IN MARWEN


Vor einem Jahr wurde Mark Hogancamp (Steve Carell) von fünf Männern vor einer Kneipe brutal zusammengeschlagen und überlebte nur knapp - sein Gedächtnis hat er beinahe vollständig verloren und flüchtete sich daher in die Kunst und Fotografie. In seinem Garten und Haus hat er die Stadt Marwen erschaffen, worin seine Puppen leben. Sie alle hat er in einer fantastischen Kriegsgeschichte echten Menschen aus seinem Leben nachempfunden und therapiert sich somit quasi selbst. Dennoch verfolgen ihn die schrecklichen Geschehnisse aus seiner Vergangenheit vor allem jetzt, wo die Gerichtsverhandlung ansteht und er sich den Tätern erneut stellen soll. Unterstützt wird er dabei von einer Gruppe mutiger Frauen, die auch in Marwen ein Zuhause gefunden haben.

Es ist tatsächlich eine bewegende Geschichte, die sich "Zurück in die Zukunft"-Regisseur Robert Zemeckis hier für seinen neuen Film ausgesucht hat - Mark Hogancamp und sein Marwen gibt es nämlich wirklich. Man hätte sich jedoch gewünscht, dass dieser schönen Geschichte ein besseres filmisches Pendant gegönnt gewesen wäre, denn dieses überzeugt nicht. Das ist durchaus schade, habe ich mich nach dem packenden Trailer doch sehr auf den Film gefreut und ihn relativ weit oben in meiner Jahresliste positioniert. Was Zemeckis nun aus dem Plot gemacht hat, wirkt jedoch recht wirr. Er verliert sich besonders in der visuellen Ausgestaltung von der Stadt Marwen, in welcher eine heldenhafte Reinkarnation des verschreckten Mark gemeinsam mit mehreren Frauen und einigen bösen Nazi-Soldaten (seinen brutalen Schlägern nachempfunden) lebt. 
In Sachen Effekte und kunstvoller Inszenierung ist das sicherlich bemerkenswert und an und für sich machen diese teils skurillen, teils auch traumhaft anmutenden Szenen, in denen Steve Carell, Eiza Gonzalez und Co. als animierte Puppen ihren Platz finden, viel Spaß. Der Fantasie scheinen hier nur wenig Grenzen gesetzt und Zemeckis lebt sich in dieser dann auch vollkommen aus - er scheint nur nicht zu erkennen, wo denn auch mal Schluss sein sollte. Erst viel zu spät beginnt er damit, das wahre Leben Marks und dessen fiktionale Geschichte, in welche er sich flüchtet, passend zu verknüpfen. Er schöpft das dramaturgisch enorme Potenzial seines Plots nicht richtig aus, verirrt sich in visueller Brillanz und schafft es nicht, eine wirkliche Annäherung an die Figuren zu bieten. 
Wir verstehen Mark, wir sehen sein Leid, aber dennoch bleibt seine Geschichte merkwürdig oberflächlich. Er leidet an Panikattacken, an Medikamentensucht und Angstzuständen, diese Szenen klatscht Zemeckis aber meist nur irgendwo rein statt sich weiter mit ihnen auseinanderzusetzen. Es wird offensichtlich, dass er an den skurillen Momenten innerhalb der Stadt Marwen wesentlich mehr Interesse hat als an den echten, persönlichen Dramen - zwar verknüpft er beide Welten hin und wieder, doch auch das wirkt mehr wie Schein und Sein, ein herber Kontrast zwischen den actiongeladenen Weltkriegsschlachten und dem leisen Drama entsteht. So richtig eintauchen kann man in diese Geschichte also nicht wirklich, vielleicht auch, weil Zemeckis mit seinen Figuren erstaunlich oberflächlich umgeht. 
Der Fokus liegt auf Steve Carell, der hier eine durchaus beachtliche Performance aufs Parkett legt - seine Gefühle für die neu hinzugezogene Nachbarin Nicol, gespielt von "How To Be Single"-Star Leslie Mann, wirkt aber auch eher fadenscheinig. Und obwohl Mark selbst immer wieder davon spricht, dass es die Frauen waren, die ihn retteten, spielen diese im weiteren Verlauf kaum eine Rolle. "Game of Thrones"-Star Gwendoline Christie kommt außerhalb der Puppenwelt gar nur auf eine Szene und auch darüber hinaus bleibt der reale Bezug von Mark zu diesen Damen in den meisten Fällen behauptet, kaum nachvollziehbar. Der emotionale Kern des Plots bleibt natürlich, doch richtig zu seiner Explosion kommt dieser auch nicht - Zemeckis vergeudet einen großen, gefühlvollen Showdown zum Abschluss der tragischen Reise seines Helden sogar in wenigen Worten. Das ist also irgendwie, trotz der wunderbaren Grundidee, nie wirklich rund und fühlt sich deswegen wesentlich schleppender und gezwungener an als erwartet.

Fazit: Steve Carell spielt großartig und die visuell aufregenden Szenen in der fiktiven Stadt Marwen sind zumindest kunstvoll inszeniert. Bezüglich des persönlichen Dramas vergeudet Robert Zemeckis aber enorm viel Potenzial, da er seine Figuren oberflächlich behandelt und deren inneren Kampf viel mehr behauptet als ihn wirklich zu thematisieren.

Note: 4+






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