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Mr. Holmes

Ein neuer Schritt in meinem kleinen "Heimkino" ist getan: Vor einigen Tagen habe ich mir Funkkopfhörer zugelegt. Zuvorderst wollte ich diese nutzen, um mich bei diversen Film- und Seriensichtungen von meinen teils doch recht lauten Nachbarn abzusetzen, diese aber auch gleichsam vor dem Lärm zu schützen, wenn ich des Nachts spontan Lust dazu haben sollte, mir mal wieder einen lauten Actionkracher anzusehen. Tatsächlich habe ich die Kopfhörer eingeweiht, indem ich eine erneute Reise zur originalen "Mass Effect"-Trilogie gewagt habe und diese Technik zog mich tatsächlich soweit in das Spielerlebnis, dass ich mich schon sehr auf die erste Filmsichtung freute. Meine Wahl fiel schließlich auf "Mr. Holmes" und tatsächlich hat es selbst einem so ruhigen und in sich ruhenden Film viel gebracht, auch wenn er mir letztendlich etwas weniger zugesagt hat als ich es zuvor erwartet habe...

MR. HOLMES


Sussex, England, 1947: Der große Detektiv Sherlock Holmes (Ian McKellen) ist mittlerweile dreiundneunzig Jahre alt und hat sich in seinem Privathaus zurückgezogen, wo er mit seiner Haushälterin Mrs. Munro (Laura Linney) und deren Sohn Roger (Milo Parker) lebt. Der junge Roger liest heimlich eine der Geschichten, die Watson einst geschrieben hat und wird so auf Holmes' vergangene Fälle aufmerksam, sucht den Kontakt zu dem mit seinem Alter und auch mit seinem Gedächtnis hadernden Senioren. Eine Freundschaft entsteht, die Mrs. Munro so nicht zusagt, da sie mit dem Gedanken spielt, Holmes zu verlassen, um einen Job in einer Hotelkette anzunehmen. Durch Roger schwelgt Holmes in den Erinnerungen an einen alten Fall, der ihn persönlich belastet, den er nun aber dennoch zu Papier bringen will, um mit ihm abzuschließen, bevor der Tod ihn ereilt...

Die Abenteuer von Sherlock Holmes und seinem Kollegen John Watson erlebten zu Beginn der bald endenden Dekade quasi ein Doppel-Revival, welches aber mittlerweile beendet oder zumindest stagniert scheint. Die von Fans schier umjubelte TV-Serie "Sherlock" brachte es auf vier Staffeln, eine fünfte ist angesichts der prall gefüllten Terminpläne der Marvel-Stars Martin Freeman und Benedict Cumberbatch aber höchst unwahrscheinlich. Und auch Guy Ritchies Blockbuster-Kinoreihe, in welchem sich mit Robert Downey Jr. und Jude Law zwei weitere Stars des Marvel Cinematic Universe in einige knallharte Detektivfälle stürzten, kommt nicht so richtig voran: Obwohl es immer wieder Gerüchte über einen neuen Film gibt, liegt der letzte Teil (und das war eben auch erst der zweite) bereits acht Jahre zurück. Mit diesen beiden Interpretationen der Geschichte, die in Buch- und Kinoform über etliche Dekaden hinweg junge und alte Zuschauer begeisterte, hat der von "Inside WikiLeaks"-Regisseur Bill Condon inszenierte "Mr. Holmes" nun aber absolut gar nichts mehr zu tun und zeigt sowohl in Sachen Massentauglichkeit als auch im generellen Ton seiner Geschichte schier die exakte Kehrseite der Medaille. 
Beruhend auf einem Roman von Mitch Cullin entwirft Condon hier ein sensibles Drama, in welchem die unvergleichliche Spürnase des berühmtesten Detektivs der Filmgeschichte zwar auch zum Einsatz kommt, der Fokus aber ganz klar auf der menschlichen Seite der Hauptfigur liegt... und darauf, wie er auf seine ältesten Tage mit dem Leben und seiner Vergangenheit, auch seinen Fehlern, zurechtkommt. Condon erzählt dieses Drama ungemein ruhig, aber niemals schleppend, und hat in seinen 99 Minuten auch einige clevere Einfälle im Gepäck. Dabei läuft "Mr. Holmes" niemals Gefahr, in einen schwachen Krimi abzudriften und bleibt selbst dann noch ganz nah an seinen menschelnden Figuren, wenn sich Sherlock zurückbesinnt auf die Tage, als er als Detektiv noch ein paar clevere Fährten legen konnte. Hin und wieder wirken diese Rückbesinnungen etwas konstruiert, wenn Holmes sich gleich an mehrere Geschichten parallel erinnert und zumindest eine von ihnen, in welcher "Last Samurai"-Star Hiroyuki Sanada als ein Bewunderer von Sherlocks Arbeit auftritt, gerät bis zum Ende und ihrer eher schwachen Auflösung nicht wirklich überzeugend. 
Sehr gut geschrieben ist dafür die Beziehung, die der altersschwache Holmes zu dem jungen Roger aufbaut und eben dieser Plot ist dann auch der Katalysator der ganzen Geschichte - alles dreht und wendet sich um diese. In ihr überzeugt nicht nur Jungstar Milo Parker, sondern selbstverständlich auch Altmeister Ian McKellen, der trotz seiner mittlerweile achtzig Jahre noch immer überall dreht. Man kann nur hoffen, dass er uns noch länger erhalten bleibt, denn wenn er weiterhin so spielt wie hier, ist jede Minute mit ihm ein Genuss. Ruhig, dabei ungemein ausdrucksstark und mit großer emotionaler Bandbreite agiert McKellen hier in "seinem" Film und man kann sich nur schwer vorstellen, dass eine solche Darstellung in irgendeiner Form noch überzeugender ausfallen könnte als hier. 
An McKellens schier brillanter Performance hapert es also nicht, sondern eher daran, dass "Mr. Holmes" seine verschiedenen Fäden am Ende zwar sinnig, aber nicht so wirklich beeindruckend verspinnen kann. Als reines Drama ist der Film zumindest sehr gut, darüber hinaus (und eben diese Schritte wagt das Werk auch) aber manchmal etwas unbefriedigend. Man mag sich die Frage stellen, ob ein Film wie dieser ohne die große Marke in seinem Namen und ohne all die Anspielungen auf Watson, Hut, Pfeife und Co. nicht vielleicht etwas besser, weil eigenständiger und energetischer ausgefallen wäre. Als Kenner und Fan der Holmes-Kultur dürfte einem wahren Filmgenuss hier aber nur wenig im Wege stehen - leider kann ich mich selbst nicht als solchen bezeichnen.

Fazit: Ian McKellen brilliert in einem ruhigen und sensibel geschriebenen Drama, welches mit Guy Ritchies Holmes-Filmen so viel zu tun hat wie Michael-Bay-Filme mit Sensibilität. Aufgrund einiger etwas konstruierter Easter-Eggs und Detektivplots geht dem Film mit der Zeit die Puste aus, als reines Drama ist "Mr. Holmes" aber ebenso bewegend wie klug.

Note: 3




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