Normalerweise rufe ich, wenn ich mich bei einem Filmabend auf Netflix oder Amazon Prime einfach für kein bestimmtes Werk entscheiden kann, die jeweiligen "Letzte Chance"-Listen der Streamingportale zu Hilfe. Dort sind die Filme aufgelistet, die demnächst von den Portalen verschwinden werden und als Last Chance gehe ich dann die Werke durch, die mich interessieren. Anders sieht es aus, wenn ich Besuch bekomme, denn dann treffen wir die Wahl gemeinsam: Meine Begleitung wünschte sich ein Drama mit Realitätsbezug, die Wahl fiel schließlich auf das Netflix-Original "Beasts of no Nation", den wir beide noch nicht kannten - wie sich herausstellte, hätten wir wohl kaum eine bessere Wahl treffen können.
BEASTS OF NO NATION
In einem nicht näher genannten, westafrikanischen Dorf lebt der junge Agu (Abraham Attah) mit seiner Familie. Das Land befindet sich im Kriegszustand, feindliche Truppen marschieren ein, wobei die hier wohnhaften Rebellen mit Waffengewalt zurückschlagen. Als Agu's Dorf eines Tages angegriffen wird, wird der Junge von seiner Familie getrennt und trifft, allein durch den Dschungel irrend, auf eine Gruppe von Rebellen. Ihr Anführer, der "Kommandant" (Idris Elba) sieht Potenzial in dem jungen Abu und nimmt ihn in seine Reihen auf - dort soll er zum Kindersoldaten ausgebildet werden, um das Land zu verteidigen...
Cary Fukanaga, der eigentlich als Regisseur für das 2017 erschienene "Es"-Remake gesetzt war, sucht sich niemals wirklich einfache Stoffe aus - er wählt die Filme, die er macht, weise, dementsprechend ist seine Filmografie auch noch sehr kurz... besitzt mit dem 2015 über Netflix erschienenen Kriegsdrama "Beasts of no Nation" aber bereits ein echtes Highlight. Fukanaga beweist in seiner beinharten Inszenierung, dass er es versteht, so etwas wie den Krieg für den unbeteiligten Zuschauer greifbar zu machen. Ähnlich wie bereits Steven Spielberg in seinem Meisterwerk "Der Soldat James Ryan" oder Kathryn Bigelow mit "The Hurt Locker" geht Fukanaga mit der Kamera direkt ins Geschehen hinein und schwenkt mit der Kamera nicht weg, ganz gleich wie grausam das Geschehen nun anmutet. Er verheimlicht nichts vor dem Zuschauer, was ihm auch die Schauspieler gleich tun, die sich vor der Kamera förmlich entblättern.
Nur in wenigen Momenten lässt Fukanaga einen Schnitt folgen, was jedoch auch ein passender Schritt zu sein scheint: Der Film, der bezüglich manch eines Moments im Kopf des Zuschauers abläuft, ist nämlich noch ein mal wesentlich grausamer als die bereits heftigen, enorm realistisch anmutenden Bilder, die hier komponiert werden. Fukanaga erschafft dabei ein solch realitätsnahes Konstrukt, dass einem schon mal schwummrig werden kann - mal erreicht er dies durch die brutale Intensität der Gewaltakte, oftmals aber durch leise Momente, die scheinbar nebenher ablaufen und gerade deswegen so grausig sind. Wenn ein Soldat die Hosentaschen seines gefallenen Freundes durchsucht, um ihn danach im Dreck liegen zu lassen oder wenn UN-Reporter untätig an der Gruppe vorbeifahren, sie nicht am Gemetzel hindern, sondern nur stoisch mit der Kamera draufhalten, sind das Bilder, die sich nachgiebig ins Gedächtnis brennen.
In den Mittelpunkt dieser psychischen und physischen Gewalt stellt Fukanaga ein Kind - was angesichts des Themas ebenso passend wie mutig ist. Der kleine Agu tritt dabei in jeder Szene auf, der gesamte Film ist aus seinem Blickwinkel erzählt, wir sehen alles, was er auch sieht. Das bringt uns die Hauptfigur mit wenigen Worten extrem nah, was bereits zu Beginn funktioniert: Angesichts der ausgelassenen Föhlichkeit, die uns in den ersten zwanzig Minuten präsentiert wird, wird ein herzerwärmendes und dennoch zutiefst aufrüttelndes Bild eines Landes im Krisenzustand präsentiert... aus den unschuldigen Augen eines Kindes, mit Geduld und Zeit. Wenn schließlich die ersten Salven umherschießen und Männer und Frauen wie die Fliegen fallen, ist das nur der erste, enorm intensive Augenblick von vielen.
Später verliert "Beasts of no Nation" zwar ein wenig an Schwung, lässt sich das ein ums andere Mal doch etwas zu viel Zeit und löst insbesondere die Geschichte um den Kommandanten (absolut brillant: "Thor"-Star Idris Elba) nicht wirklich zufriedenstellend, aber ennoch mutig auf. Manches verläuft auch zu glatt und nicht alle Figuren können buntz genug gezeichnet werden, als dass wir uns wirklich an sie erinnern. Was der Film jedoch schafft, ist, uns zu schocken, uns zu bewegen, uns mitzureißen und dass ohne ständige Explosionen, sondern oftmals durch die kleinen Dinge. Dazu passt dann auch die Performance des noch jungen Hauptdarstellers: Abraham Attah, der letztes Jahr auch in "Spider-Man: Homecoming" zu sehen war, ist eine echte Entdeckung, absolut glaubwürdig und kraftvoll, ohne dabei zu überzeichnen. Das ist etwas, was man so auch für den Film als Ganzes stehen lassen kann.
Fazit: Kraftvolles, grausam bebildertes und unter die Haut gehendes Kriegsdrama, aus den Augen eines Kindes erzählt. Herausragend gespielt, brachial und gekonnt inszeniert. Trotz kleiner Längen und einem etwas schluderigen Schlussakt ein Genre-Film, der sich noch für längere Zeit ins Gedächtnis einbrennen wird.
Note: 2
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